Care Share 13 Entwurf für ein Public- Health-Gesundheitssystem

Care Share 13 ist ein Architekturentwurf für ein Public-Health-Gesundheitssystem mit einer neuen Vertragstektonik. „Geteilt“ (sharing) werden Raum, Zeit, Geld, Macht und Freude. Ein Einblick in ein neues Modell, das mehr als nur ein Gedankenexperiment werden könnte. Wie rechts dargestellt, könnte ein neu gestaltetes Versorgungssystem aussehen. Die Digitalisierung als neuer „Baumeister“ ermöglicht historisch erstmals ein interprofessionelles und hierarchiefreies Zusammenwirken am Point of Care. Dafür braucht die Technik aber ein zeitgemäßes Gesundheitsrecht, sprich Leistungs-, Vertrags- und Berufsrecht. Gegenwärtig wird ambulant die Reichsversicherungsordnung aus 1911 (seit 1989 SGB V Krankenversicherung) „elektrifiziert“, deren arztentriertes Rollenverständnis auch die Abläufe im stationären Setting geprägt hat. Digitalisierung bedeutet ein neues Mindset für Rollen, Kompetenzen und Abläufe. Care Share 13 ist ein solches, es ist ein Transformationsziel, das der bisherigen Digitalisierungsstrategie des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) fehlt. In letzterer sind – wie ein Himmel voller Sterne – zahlreiche Einzelmaßnahmen aufgeführt, es fehlt aber das Sternbild, das sie zu einer sinnhaft funktionalen Struktur formt. Care Share 13 sieht als neue „physisch“ sichtbare Governancestruktur regionale Versorgungsverbünde (RVV) vor. Die RVV sind Shared-Leadership-Akteure. Vertreter und Vertreterinnen aus Kommunen, Kostenträgern, Kassenärztlichen Vereinigungen, Pflege- und Therapieberufe planen, organisieren und verantworten die Gesundheitsversorgung als Gesamtprozess. Auf der „Vertragstektonik“ des heutigen Krankenversicherungsgesundheitssystems vom Typ „Bismarck“ ist diese Gesamtverantwortung nie erreichbar. Versicherte erhalten heute eine Leistung, allen voran eine ärztliche bzw. ärztlich verordnete oder delegierte, die im Stück oder 100er-Pack abgezählt, (vermeintlich) qualitätsgesichert, budgetiert verhandelt wird. Versorgung wird so aber als Infrastruktur der Daseinsvorsorge nicht geplant. Dieses Vorgehen beruht bis heute auf Vertragsabkommen zwischen Kassen und Ärzten, die sich im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zur gemeinsamen Selbstverwaltung entwickelten. Der approbierte Arzt versprach zur Schonung der Versichertengelder den höchsten „Evidenzgrad“. Rechtlich wird dieses Denken durch den Arztvorbehalt bis heute als Generalklausel im SGB V (§ 15 Abs. 1 Satz 2 SGB V) sowie durch das untergesetzliche „Normengeflecht“ und in der Konstellation des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) gelebt. Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden müssen natürlich geprüft werden, niemand aber verantwortet im System Prozess- und Systemqualität. Ambulante Versorgung wird auch heute mit ärztlicher Versorgung gleichgesetzt. Dabei wird Salutogenese (Public Health) vorrangig durch nicht ärztliche Berufsgruppen erbracht. Der ärztliche „Reparatureingriff“ ist natürlich (lebens-)notwendig, nicht aber die fachliche und organisatorische Subsummierung aller anderen Versorgenden unter dem pathogenetischen Blick. Dass es für eine Gesunderhaltung und -werdung sowie ein Leben mit langer chronischer (Mehrfach-)Erkrankung eine interprofessionelle und bevölkerungsbezogene Versorgungsgestaltung braucht, ist hinreichend bekannt. Die Pandemie hat die eklatante Vernachlässigung der Öffentlichen Gesundheit vor Augen geführt. Zur mangelnden Public-Health-Beachtung kommt der rasante Fortschritt in Medizin, Pflege, Therapie, (Medizin-)Technik, dem die „Transportnetze“ für eine hochwertige qualitative Breitenversorgung fehlen. Der geplante Umbau der Krankenhauslandschaft mit einer Ambulantisierung der Medizin kann nicht ohne eine Strukturmodernisierung des ambulanten Bereichs erfolgen. Es ist wie in der Verkehrswende. Die ambulanten ärztlichen Honorarsysteme als „Kommandohöhe“ der Versorgung, sprich der Einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM) für circa 90 Prozent gesetzlich krankenversicherten Bürgerinnen und Bürger und die Gebührenordnung Ärzte (GOÄ) für die circa zehn Prozent Privatversicherten, sind wie marode Bahnstrecken. Sie verhindern durch quantitativen Verrichtungs- und Vergütungsbezug sowie innewohnendem Arztvorbehalt den interprofessionellen Vertragsneubau. Die 13 steht für ein neues Sozialgesetzbuch, denn das SGB V wird „entkernt“, das SGB XI abgeschafft, gesundheitsrechtliche Regeln aus den SGB II (Grundsicherung), III (Arbeit), VI (Rente), VII (Unfall), VIII (Kinder/Jugendliche), IX (Reha/Teilhabe) und XII (Sozialhilfe) vereinheitlicht. Die Verwaltungs- und Datenschutzvorschriften aus den SGB I, IV und X werden zu einem SGB entwickelt. Die „verstrüppten“ Kollektiv- und Selektivverträge aus SGB V und SGB XI werden weitestgehend flurbereinigt. Hausarztpraxen und Pflegedienste werden als Basisversorger in einem barrierefreien Tandem-Vertrag zur regional zentralen „Versorgungslinie“, ohne ärztliche Verordnung und Pflegegrad. Sie binden andere Fachrichtungen über Versorgungspfade eines Chronic-Care-Managements ein. Care Share wird von Akteuren in alten und neuen kooperativen Betriebsmodellen (RGZ , IGZ, MVZ, Praxisnetzen etc.) umgesetzt. Für eine integrierte Planung, Organisation und Sicherstellung schließen die RVV mit den Versorgenden einen kommunalen Versorgungsvertrag. Care Share ist nicht mehr Bismarck und wird auch nicht Beveridge, es ist ein Systemtyp unserer Zeitenwende mit einer Dringlichkeit für eine verantwortungsvolle und gemeinwohlorientierte Ressourcennutzung. Für die neue Vertragstektonik braucht es eine solidarische Gesundheitsversicherung, um aus Beiträgen und Steuern moderne Care-Share-Fonds der Mischfinanzierung zu entwickeln. Die zentrale Herausforderung liegt in der systemrelevanten Implementierung der Berufspflege durch die Schaffung einer Selbstverwaltungsstruktur, datengestützter Klassifikationssprache und einem Berufs- und Leistungsrecht. Die Pflegeversicherung wird abgeschafft, denn sie ist der Sargnagel der Berufspflege und lässt auch die pflegenden Angehörigen – v.a. die Frauen – zurück. Ihre Belange müssen in einem Alltagshilfenunterstützungsgesetz neu geordnet und verhandelt werden. Care Share setzt ein Wohlstandsverständnis voraus, das um den Wert einer verlässlichen Daseinsvorsorge weiß. Über IPAG e.V. Der Beitrag ist aus der Sicht des IPAG-Expert:innenrats, dem Think-Tank für eine menschenzentrierte und hochwertige Versorgung entstanden. Basis des IPAG ist der eingetragene Verein Institut für Pflege, Altern und Gesundheit (IPAG) e.V. Strategischer Partner ist Gesundheitswirtschaft Nordwest e.V. https://www.i-pag.de Kontakt zu den Autorinnen Sonja Laag, Diplom-Gesundheitswirtin, Leiterin Versorgungsprogramme (integrierte Versorgung) Barmer, Wuppertal, sonja.laag@i-pag.de Prof. Dr. Martina Hasseler, Gesundheits- und Pflegewissenschaften, Digitalisierung in der Pflege, Ostfalia Hochschule, martina.hasseler@i-pag.de

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