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Seit Sommer 2021 stellt Google dem Europäischen Labor für Molekularbiologie (EMBL) in Heidelberg eine Datenbank kostenfrei zur Verfügung, die nun auch kommerziell genutzt werden darf: Die dreidimensionalen Strukturen von 200 Millionen Proteinen, und zwar die des Menschen und 20 weiterer Spezies (https://alphafold.ebi.ac.uk).

Die Software Alphafold 2 mit dem veröffentlichten Quellcode löste in der Biotechnik-Welt ein Erdbeben aus, denn die Eiweißmoleküle sind als komplexe Nanomaschinen praktisch an allen Funktionen des Lebens beteiligt.
Fehler in ihrer 3-D-Faltung können Krankheiten wie Alzheimer, Parkinson und Diabetes auslösen. Kürzlich wurde ein Protein namens Clusterin entdeckt, welches fehlerhafte Eiweiße zum Abbau ins Zellinnere transportiert. Dort kümmern sich Proteasomen und Lysosomen um die Müllentsorgung. Hitzestabile Proteine schützen andere Proteine vor Temperaturschocks, Austrocknung, Verklumpungen und diversen Chemikalien.
Wenn Forschende ein neues Protein entdecken, schalten sie es zunächst ab, um herauszufinden, welche Funktion es in der Zelle ausübt. Bislang konnten sie die Proteinfaltung nur in monatelanger Arbeit mit aufwändigen Methoden wie der Röntgenkristallografie oder der Kernspinresonanz-Spektroskopie entschlüsseln. Hinzu kommt, dass Proteine etwa sechs andere Nachbarn kontaktieren und so ein kompliziertes Interaktionsnetzwerk bilden.
Nun kann jeder Interessierte online herausfinden, wie ein Protein an Vorgängen im Körper beteiligt ist und wie man es mit welchen Wirkstoffen beeinflussen kann. Neue Arzneimittel können durch gezielte Eingriffe in die Bindungstaschen der Antikörper eingebracht werden, um krankmachende Strukturen von Erregern zu hemmen oder sogar zu zerstören. Synthetische Eiweiße mit vorgegebener Gestalt können sich wesentlich stärker an Krankheitserreger heften als natürliche Antikörper.
Im Labor gibt es bereits einen neuen Covid-19-Impfstoff als 3-D-Modell eines künstlichen Protein-Nanopartikels, speziell bestückt mit Sars-CoV-2-Bruchteilen, um die Immunabwehr maximal auf die Virusstruktur aufmerksam zu machen. Intensiv wird auch an Nasensprays mit künstlichen Antikörpern ge-forscht, die sich mit ihren Eiweißen besser an Viren heften als jedes an-dere bekannte Molekül der Welt.
Neuartige Materialien aus Proteinen analog von Seide und Spinnweben mit fein justierbaren Eigenschaften werden entwickelt. In der Biotechnologie Forschende haben bereits Nanomaschinen für den gezielten Transport von Medikamenten konstruiert, künstliche Enzyme für die Produktion von nützlichen Chemikalien oder plastikfressende Bakterien entwickelt. Schließlich verkürzt die Natur mit ihren Enzymen chemische Reaktionszeiten auf Minuten und Tage, die ohne Katalysatoren Millionen von Jahren dauern würden.
Wie funktioniert AlphaFold?
Die Programmierer nutzten für die Prognosen der Proteinstrukturen eine Technik aus der automatisierten Übersetzung von Sprachen. Denn auch dort sind lineare Ketten von Bausteinen zu finden, die sich für sinnvolle Aussagen ständig auf sich selbst zurückfalten. Neuronale Netze wurden mittels Deep-Learning-Methoden mit hunderttausenden Proteinstrukturen trainiert, um bekannte Beispiele in Datenbanken zu finden und daraus die wahrscheinlichste 3DForm der Aminosäuren zu berechnen. Bislang kann die KI nur eine einzige Gestalt von mehreren Möglichkeiten und auch keine Proteinkomplexe vorhersagen. Das Ziel ist aber die Berechnung aller physikalischen Kräfte im Molekül.
Kontakt zum Autor:
Manfred Kindler, Präsident des Krankenhaus-Kommunikations-Centrums e.V. (KKC), m.kindler@kkc.info