15. Gesundheitskongress des Westens Ein Gesundheitssystem am Limit?

Der Gesundheitskongress des Westens mit dem Motto „Gesundheitssystem am Limit: Wie sieht der Weg in die Zukunft aus?“ wollte klären, was die Stärken und Schwächen im deutschen Gesundheitssystem sind. Und ob die derzeitige Krankenhausstruktur zu einer nachhaltigen Finanzierung passt.Noch nie zuvor habe das Thema Gesundheit so viel Interesse hervorgerufen wie jetzt – das betonte Claudia Küng, Kongressleiterin, in ihrer Eröffnungsrede des gesundheitspolitischen Kongresses. Die Pandemie könne eine große Chance sein, sagte Küng, „denn auch wenn wir die Krise vergleichsweise gut überstanden haben, so wurden auch gnadenlos die Versäumnisse unseres Gesundheitswesens aufgezeigt.“ Prof. Dr. Dr. Karl Max Einhäupl, Kongresspräsident, ergänzte, dass Corona ein Stresstest für die Gesundheitssysteme der Welt sei – Deutschland jedoch eine gute Rolle gespielt habe. Stärken und Schwächen im deutschen GesundheitssystemSowohl der nordrhein-westfälische Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann als auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn betonten die Stärken des deutschen Gesundheitssystems. „Viele sind sicherlich an ihre Grenzen gegangen. Doch bei allen Härten und Belastungen hat unser Gesundheitssystem gezeigt, was es kann“, sagte Spahn. „Es ist leistungsstark, robust und resilient.“ Ähnlich sah es Laumann: „Wenn bei einer Pandemie dieses Ausmaßes ein Gesundheitssystem nicht an seine Grenzen kommt, dann wäre etwas falsch.“ Staatssekretär Andreas Westerfellhaus, Pflegebevollmächtigter der Bundesregierung, bemängelte u.a., dass Pflegekräfte nicht dort eingesetzt würden, wo sie tatsächlich gebraucht werden. Medizinisch unnötige Operationen oder stationäre Behandlung von Patientinnen und Patienten aus rein wirtschaftlichen Gründen würden Pflegepersonal an falscher Stelle binden. Den Blick aus Sicht der Kliniken gaben Dr. Patrick Frey, Geschäftsführer Rhein-Maas Klinkum, und Christian Engler, Regionalgeschäftsführer NRW Sana Kliniken. Frey lobte die Leistungsfähigkeit und hohe intensivmedizinsche Kompetenz der Krankenhäuser in Deutschland. Er schilderte seine Erfahrung aus der Pandemie: Krankenhäuser in der Städteregion Aachen haben zusammengearbeitet, sind gemeinschaftlich vorgegangen und nutzten Schwarmintelligenz. Als Schwäche merkte er u.a. an, dass Krankenhäuser bisher als Leistungsbetriebe im Wettbewerb betrachtet worden sind. Weiterentwicklung des DRG-Systems hin zu Patientinnen und Patienten gefordertWährend des Kongresses wurde das DRG-System vermehrt in Frage gestellt. Das griff auch Kongresspräsident Einhäupl in seinem Interview mit Bundesgesundheitsminister Spahn auf und stellte ihm die Frage nach einem möglichen Ende des DRG-Systems. Spahn antwortete, dass dies nur unter der Voraussetzung einer bedarfsgerechten Struktur gehe. Dr. Karl Blum, Vorstand des Deutschen Krankenhausinstituts, monierte, dass bereits seit Einführung des DRG-Systems viele Krankenhäuser regelmäßig Defizite schrieben. Zu den wichtigsten Gründen dafür zählte er, dass die öffentliche Hand nur rund die Hälfte der Investitionen trage. Hinzu kämen Vorhaltekosten und eine nicht auskömmlich finanzierte Notfallversorgung. Die bundesweit hohe Krankenhausdichte wertete er als Vorteil und sprach sich gegen weitreichende Schließungen aus. Anders sah das Gesundheitsökonom Prof. Reinhard Busse von der Technischen Universität Berlin. Gegenüber 2019 betrage der auch durch Corona bedingte Rückgang mittlerweile 20 Prozent. Für die Kliniken müsse künftig der Grundsatz „Qualität vor Nähe“ gelten. Mit Blick auf die deutlich zurückgegangenen Patienten- und Fallzahlen plädierte er für eine Schließung von Standorten. Die viel beschworene Erreichbarkeit dürfe nicht das wesentliche Merkmal für die Gestaltung der Krankenhausstrukturen sein. Prof. Heinz Lohmann schlug ein patientenorientiertes System vor – statt der DRG nannte er es PRG (Patient Related Group), dieses würde beim Patienten ansetzen, ihn in den Mittelpunkt stellen, aber beim Leistungsbezug bleiben. „Ein leistungsorientiertes Entgeltsystem wie das DRG nimmt Patienten und Patientinnen in den Fokus und das macht Sinn, aber mit DRG kann es auch nicht einfach so weitergehen. Wir müssen das Bestehende in Richtung Patientenorientierung weiterentwickeln“, sagte Lohmann. Digitalisierung bietet unausgeschöpftes Potenzial, aber auch HürdenDie Digitalisierung im Gesundheitswesen geht langsamer voran als geplant, da waren Experten und Expertinnen des Kongresses einer Meinung. Das liege auch daran, dass trotz Mangel an IT-Fachkräften das bereits vorhandene Personal nicht genutzt wird, meinte Prof. Dr. Sylvia Thun von der Hochschule Niederrhein. Man müsse den bereits angestellten Pflegekräften das Thema Digitaliserung durch Schulungen und Fortbildungen näherbringen. Doch genau bei den Pflegekräften läge das Problem, sagte Prof. Dr. Holthusen, Medizinischer Direktor der Knappschaft Kliniken GmbH. Fachkräftemangel, Interoperabilität und Schnittstellenstandards, Regelungsdickicht wie Datenschutzverordnungen, aber auch fehlende Akzeptanz der Fachkräfte gegenüber digitaler Alternativen, seien „Stolpersteine“ für den Fortschritt im Gesundheitswesen. Ziel sei es, Krankenhäuser durch die Digitalisierung effizienter zu machen. Zu hohe Kosten könnten laut des Leiters des Health Innovation Hubs, Prof. Dr. Jörg Debatin, die Regierung bei möglichen und wichtigen Investitionen in das Gesundheitswesen zurückschrecken. Menschlich, digital und zukunftsgerichtetAuch wenn die Diskutierenden nicht übereinkamen, in welche Richtung strukturelle Anpassungen bei Krankenhäusern gehen sollten, waren doch alle der Meinung, dass sich etwas ändern müsse. Die Qualität der Leistungen zu erhöhen sei ein Ziel und die Effizienz stationärer Einrichtungen durch digitale Alternativen zu erhöhen, ebenso Fachkräfte nachhaltig zu gewinnen und diese beim Thema Digitalisierung mitzunehmen. Bei einem waren sich die Expertinnen und Experten auf dem Kongress einig: Der Patient bzw. die Patientin müsse in den Fokus rücken. Dann könne das Gesundheitssystem der Zukunft ehrlich, menschlich und digital ausgerichtet sein. Bettina Kleinsteuber und Dominik Müller Der GdW 2022Der nächste Gesundheitskongress des Westens findet am 30. und 31. März 2022 statt.