2. Diversity in Health Congress Diversity und Parität – Gesundheit für alle

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Beim 2. Diversity in Health Congress vom 28. Februar bis 1. März 2023 live in Leipzig und digital wurden die Dimensionen der Vielfalt im Kontext des Gesundheitswesens beleuchtet. Die Zielsetzung einer nachhaltigen „Gesundheit für alle“ stand im Vordergrund.

Diversity in Health Congress
Das Inno3_Team moderierte den 2. Diversity in Health Congress.: (von links) Ilka Dekan, Geschäftsführerin; Martin Blaschka, Management Team; und Judith Israel, Eventmanagerin. – © Inno3 GmbH

Schirmherrin Dr. Gertrud Demmler, Vorständin, SBK – Siemens-Betriebskrankenkasse, begrüßte die Teilnehmenden beim Diversitäts-Kongress. Sie regte an, sich Gedanken zu machen:

  • Wie kann Diversity die Gesundheitsversorgung besser machen?
  • Wie werden wir ein nachhaltiges Gesundheitswesen?
  • Wie setzen wir vorhandene Ressourcen ein im Sinne der Menschen und der Umwelt.

„Wir müssen die Vielfalt der Menschen und ihre Versorgungssituation berücksichtigen für eine bessere Gesundheitsversorgung. Vielfalt braucht Kooperation.“

Dr. Gertrud Demmler

Die Keynote hielt Tessa Ganserer, Mitglied des Deutschen Bundestages, Bündnis 90/Die Grünen. In ihrer Eröffnungsrede wies sie auf die Diskriminierungssituation von queeren Menschen hin. Als Beispiele für problematische Situationen nannte sie u.a. das Transfusionsgesetz, Diskriminierung bei der Geburtshilfe sowie ein entwürdigendes Transsexuellengesetz. Sie verwies darauf, die Situation von transgeschlechtlichen Menschen im Gesundheitsbereich zu verbessern und den Rechtsanspruch auf medizinische Maßnahmen im Sozialgesetzbuch zu verankern.

Auch müssten die speziellen Bedarfe von queeren Menschen in die Ausbildungspläne mit aufgenommen werden. Der Kongress liefert hierzu Akzeptanzarbeit, und Aufklärung.

Stigmata und Stereotypisierung in Medizin und Versorgung

Die Referentinnen der ersten Session waren: Mari Günther, Fachreferentin für Beratungsarbeit und Gesundheitsversorgung, Bundesverband Trans*, und Dr. Viviane Bremer, Fachgebietsleiterin für HIV/AIDS, sexuell oder durch Blut übertragbare Infektionen, Robert Koch-Institut.

Im Vortrag von Günther ging es um den Umgang mit Trans* und nicht-binären Personen in der Versorgung. Die Selbstbestimmung dieser Menschen werde deutlich eingeschränkt. Das menschliche Dasein werde pathologisiert, daraus entstehen wiederum Stigmatisierung, Diskriminierung und eine erhöhte Gesundheitsbelastung. Aufgrund von Unwissenheit werden die Trans* Personen in den Gesundheitseinrichtungen oftmals nicht respektvoll behandelt. Hier müssten Veränderungen stattfinden. Es braucht Konzepte, z.B. die Überarbeitung von Aufklärungsbögen, Fragebögen, Testformularen und Anamesebögen.

Bremer berichtete über die Versorgung von sexuell übertragbaren Infektionen (STI) in Deutschland. Sie informierte darüber, welche Viren es überhaupt gibt und welche STI. Das Wissen darüber in der Allgemeinbevölkerung lasse sehr zu wünschen übrig. Es fehle an Wissensvermittlung, Testangeboten und auch die Versorgung wäre lückenhaft. „Wir brauchen mehr Aufklärung zu STI. Die Beratungs- und Testangebote müssen ausgebaut werden. Eine Weiterbildung zu Sexualität und Stigma muss im Gesundheitsbereich ausgeweitet werden“, betonte Bremer.

Gleich- und Ungleichbehandlung: Wie Diversity funktionieren kann

In der zweiten Session beim Diversity in Health Congress referierten Prof. Dr. Matthias Bethge, Rehabilitation und Arbeit, Universität zu Lübeck; Franziska Beckebans, Bereichsleiterin Kundenmanagement und Versorgung, SBK – Siemens-Betriebskrankenkasse; und Dr. Verena Szczerba, Assistenzärztin, Klinik für Inklusive Medizin am Evangelischen Krankenhaus Hagen-Haspe.

Bethge stellte die -Kampagne „MiMi-Reha-Kids“ – die Implementierung und Evaluation eines mehrsprachigen Informationsangebotes zur Rehabilitation für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund vor. Ziel des Projekts ist, die gesundheitliche Versorgung von migrantischen Kindern und Jugendlichen nachhaltig zu verbessern.

Zum Thema „DiGAs – eine vertane Chance für mehr Diversität?“ referierte Beckebans. Die DiGA sind vielfältige Unterstützungsmöglichkeiten bei der Behandlung von Krankheiten und bei einer selbstbestimmten Lebensführung. Sie könnten Unterstützer in der Regelversorgung sein und sind damit „digitale Helfer“ in der Hand der Patientinnen und Patienten. Deutschland ist hier Vorreiter in Europa mit einem rechtlichen Rahmen für die Zulassung und die Kostenerstattung durch das Fast-Track-Verfahren. Ihr Fazit: Es braucht mehr Transparenz, um den Nutzen für unterschiedliche Patientengruppen qualitativ zu bewerten und zu bewerben.

Szczerba berichtete von ihren Erfahrungen als Assistenzärztin an einer Klinik für Inklusive Medizin. Bei Menschen mit schwerer Behinderung sei es für die Ärzteschaft schwer aufgrund von unklarer Kommunikation zu diagnostizieren. Auch das atypische Schmerzverhalten ist z.B. bei Menschen mit Behinderung ein häufiges Problem. Menschen mit geistiger Behinderung haben auch ein höheres Risiko für psychische Erkrankungen. Eine klare Anamnese ist meist nicht möglich und die Diagnosestellung langwierig. Hier sei es enorm wichtig, wie wir damit umgehen. Es müssten eigene Abteilungen und Spezialisten aufgebaut werden, weil …

  • medizinisches Wissen zu den oft speziellen medizinischen Problemen der Betroffenen fehlt,
  • es i.d.R. keine oder nur wenige Expertise im Umgang mit Kommunikationshindernissen gibt,
  • das komplexe Betreuungsfeld oft nicht verstanden und zu wenig gehört wird,
  • das regelhaft sich entwickelnde Gefühl der Überforderung bei den Profis nicht selten zu Abweisung, vorzeitiger Entlassung oder Unterlassung indizierter Behandlungen führt,
  • aus Studien bekannt ist, dass es in vielen Fällen zu einem vorzeitigen, vermeidbaren Tod kommt.

One Health – Gesundheit für alle als Ziel für Nachhaltigkeit und Vielfalt

In der dritten Session referierten Prof. Dr. Gerhard Trabert, Gründer und Vorsitzender, Armut und Gesundheit in Deutschland e.V., Dr. Ines Weinhold, Geschäftsführerin, WIG2 Institut, und Dr. Mathias Wendeborn, Gründer, Refudocs Verein medizinischer Versorgung von Flüchtlingen, Asylsuchenden und deren Kinder e.V.

Trabert berichtete von seiner Arbeit im Verein „Armut und Gesundheit in Deutschland“. Krankheit ist der drittgrößte Grund für Verschuldung in Deutschland, d.h. arm zu sein bedeutet kränker zu sein und früher zu sterben, betonte er. Er ist der Meinung, man muss dorthin fahren, wo die Menschen sind, die Hilfe benötigen. Besonders wichtig hierbei ist Wertschätzung durch Sprache sowie Gleichwürdigkeit. Und: daraus abzuleiten, was ist zu tun. In der Ambulanz ohne Grenzen beispielsweise kann jeder kommen, der krank ist. Es gibt dort auch verschiedene Fachdisziplinen. Die meisten Menschen im Verein arbeiten ehrenamtlich.

„Jeder hat ein Recht auf eine Gesundheitsversorgung im Versorgungssystem einer Gesellschaft.“

Prof. Dr. Gerhard Trabert

Weinhold referierte zum Thema „Barrieren und Barrierefreiheit in der Versorgungsforschung“. Auf ihrer Agenda standen u.a.:

  • Zugang und Zugangsgerechtigkeit,
  • Barrierefreiheit in der ambulanten Gesundheitsversorgung,
  • Sicherstellung in der ambulanten Versorgung.

Die Versorgung muss bedarfsgerecht, verfügbar und erreichbar sein. Sie betonte, dass weder Informationsgrundlagen noch barrierefreier Zugang zur ambulanten ärztlichen Versorgung flächendeckend umgesetzt ist. Ein erster Schritt zur Sicherstellung gleichberechtigen Zugangs wäre eine Vereinbarung bundeseinheitlicher Standards zur Barrierefreiheit.

In seinem Vortrag stellte Wendeborn Ideen für einen besseren Zugang zum Gesundheitssystem mit dem Refudocs-Konzept vor. Er gab einen Einblick in die Arbeit des Vereins. In den letzten Jahren und Monaten hat sich gezeigt, dass es bei plötzlichen und starken Fluchtbewegungen in manchen Regionen strukturelle und organisatorische Schwierigkeiten und Defizite gibt. Daraus folgend, dass im klassischen System keine adäquate medizinische Versorgung mehr gewährleistet werden könne. Hier setzt die Tätigkeit des Vereins ein. Herausforderungen, die aus seiner Sicht dringend angegangen werden müssen, sind u.a.

  • Weitere und engere Vernetzung, der an der Gesundheitversorgung beteiligten Stakeholder,
  • Einführung eines einheitlichen Dokumentations- und Kommunikationssystems,
  • klare Perspektiven für die Asylsuchenden,
  • Betreuerschulung.
  • frühe, niedrigschwellige Sprach- und Bildungsangebote,
  • Gesundheitsangebote,
  • Verbesserung der Diagnostik und Therapie von psychologischen und psychiatrischen Erkrankungen (z.B. Traumfolgestörungen),
  • Hinterfragen von (bürokratischen) Prozessen und Gewohnheiten und
  • Zulassen von neuen ungewohnten Vorgehensweisen.

Diversity Management – mehr als ein Buzzword

Am zweiten Kongresstag referierten Andrea Galle, Vorständin, BKK VBU; Cornelia Wanke, Unternehmenberaterin und Coach, Wankeconsulting! und Vorständin, Healthcare Frauen e.V.; und Dr. Susan Niemeyer, Chief Transformation Officer, HMM Deutschland GmbH und Beirätin, Healthcare Frauen e.V.

Gender-Medizin beginnt mit Sprache, entscheidet aber über optimale Versorgung, Lebensqualität und (Über-)Leben, betonte Galle in ihrem Vortrag. Sie zeigte beim Kongress auf, wie wichtig Gendermedizin ist, welche Versorgungslücken es gibt und setzte Impulse, was in der GKV für mehr Diversität getan werden kann.

„Eine gendergerechte Formulierung ist mehr als reine Kosmetik. Wenn es nur bei der Sprache bleibt, bringt uns das leider wenig weiter. Wichtig wäre es konsequenterweise, auch über unterschiedliche Nebenwirkungen von Medikamenten bei Frauen und Männern aufzuklären.“

Andrea Galle

Mission Possible – wie es gelingen kann, mehr Frauen in Führung zu bringen, war Thema von Cornelia Wanke und Dr. Susann Niemeyer. Zusammen mit Andrea Galle und Moderatorin Ilka Dekan diskutieren sie über sie u.a. über Female Empowerment, Gender, Diversity sowie Gleichberechtigung.

Wanke und Niemeyer stellten ihr Buch „Mission Possible“ vor. Ziel ist es, mehr Gleichberechtigung, Diversität und Allianzen zu schaffen. Sie zeigen darin auf, dass in einer modernen Arbeitswelt Familie, Freizeit und Arbeit zusammengedacht werden sollten. Die beiden Autorinnen führten für das Buch Interviews mit 32 Personen aus dem Topmanagement unterschiedlicher Branchen zu Diversität und Gleichberechtigung. Sie erzählen von ihren Karrierewegen und den Steinen, die ihnen dabei in die Wege gelegt wurden. Notwendige Weichenstellungen wurden dabei deutlich, die es für eine moderne Arbeitswelt mit mehr Frauen an der Spitze braucht. Für die Interviewten ist dabei klar, dass fortschrittliche Unternehmen Diversität und Gleichberechtigung fördern müssen, um zukunftsfähig zu bleiben. Dafür sei auch u.a. eine gezielte Talentförderung notwendig.

Wanke berichtete außerdem über ihr Engagement zu Frauen in Führung. Es haben sich mittlerweile 13 Organisationen zusammengeschlossen von Frauen im Gesundheitswesen. Das Thema ist dadurch weiterentwickelt worden.

Diversitätskompetenz als Enabler für ein gerechtes Gesundheitssystem

In der fünften Session referierten Ramazan Salman, Gründer, Ethno-Medizinisches Zentrum e.V.; Moritz Roloff und Sebastian Paschen, Gründer, studentische Initiative „Geschlecht in der Medizin“.

Salman berichtete über seine Arbeit beim Zentrum und stellte das MiMi-Programm zur transkulturellen Gesundheitskompetenz vor. „Alle Menschen haben, unabhängig von Herkunft, Bildung oder Geschlecht, dieselben Gesundheits-, Bildungs- und Integrationschancen. Um dies zu erreichen, forschen, entwickeln und gestalten wir für gesunde Integration, Teilhabe und Mitwirkung“, betonte Salman. Ziel ist, die gesundheitliche Versorgung von Migrantinnen und Migranten sowie geflüchteten Menschen zu verbessern, Zugangsbarrieren zu Präventionsangeboten zu senken und gesunde Lebensweisen in Eigenverantwortung zu fördern. Das Zentrum soll als „Brücke zwischen den Kulturen“ zwischen Menschen verschiedener kultureller Zugehörigkeit und ihren unterschiedlichen Vorstellungen von Körper, Gesundheit und Krankheit vermitteln.

„Es braucht interdisziplinäre Vernetzung und Zusammenarbeit von divers besetzten Teams.“

Ramazan Salman

Roloff und Paschen beleuchteten das Thema Vielfalt in der medizinischen Ausbildung. Die beiden berichteten von ihrer studentischen Initiative, die zum Ziel hat, geschlechtersensible Medizin in die Studiengänge zu integrieren, denn es liegt hierzu keine bundeseinheitliche Regelung vor. Mittlerweile gibt es schon ein paar Bundesvertretungen der Medizinstudierenden sowie verschiedene Projekte auf nationaler Ebene, erläuterten die beiden.

Digital Health – eine neue und fair(er)e Welt?

In der sechsten Session referierte Hanna Besbes, Investment Professional & FemTech Expertin, heal.capital, zum Thema „FemTech und Venture-Capital: 10 guidelines for building a thriving FemTech startup in Europe“. Wie verhilft Digital Health zu einer neuen und fair(er)en Welt? In der finalen Session gab Besbes einen Überblick zur Gründung und Führung von FemTech-Startups in Europa – praxisnah mit Guidelines und Erfahrungsberichten.

Startup-Pitch-Session: Digitale Gesundheitsinnovation

Diese Startups wurden vorgestellt:

  • EiS-App: Anke Schöttler, Gründerin
    Hilfsmittel zum Erlernen der Gebärdensprache
  • HelloBetter: harlotte Kirchhoff, Supervisorin & Coach
    Online-Therapiekurs auf Rezept für psychologische Unterstützung
  • Femacy: Patricia Stangner, Ex-Gründerin
    Enttabuisierung von Frauengesundheit
  • Aidhere: Dr. Nora Mehl, Co-Founder & CSO
    Digitale Therapien auf Basis von Ernährung, Verhalten und Bewegung
  • Inne (Eirini Rapti, Co-Founder & CEO)
    Zyklustracker: Miniaturlabor für Frauen

Diversity in Health Congress 2023

Der Kongress wurde veranstaltet von der Inno3 GmbH gemeinsam mit dem WIG2 Institut, der Universität Leipzig (Juniorprofessur Health Economics and Management) und der SBK – Siemens-Betriebskrankenkasse. Unterstützt wird der Kongress von der BKK-VBU (Gold-Sponsor) und Medienpartner Health&Care Management.

Interessierte finden mit einem Klick hierauf den Livestream der Veranstatltung.