KKC-Kolumne Directed Evolution: Das Leben wird digital

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Mithilfe des Machine Learnings werden Methoden des Directed Evolution eingesetzt – sie ahmen die Prozesse der natürlichen Evolution im Zeitraffer nach, um selbständig lebende Organismen zu züchten, die einem vorher exakt bestimmten Zweck dienen sollen.

DNA eignet sich auch als externer Datenspeicher. – © natali_mis (stock.adobe.com)

Im Sommer 2017 veröffentlichte der Informatiker Tadayoshi Kohno eine Methode, wie man mit einer in einem DNA-Strang versteckten Schadsoftware den Computer hacken kann, der gerade das Erbgut analysiert. Die Gensequenzen der manipulierten DNA verwandelten sich durch eine Sicherheitslücke des eingesetzten Analyseprogramms im Rechner in einen Trojaner. Eine eindrucksvolle Demonstration der Kommunikation zwischen einer biologischen und einer elektronischen Codierung.

Eine Forschungsgruppe um Francis Arnold hatte bereits 2016 berichtet, wie sie mittels der Genmanipulation eines Bakteriums erstmalig eine auf Kohlenstoff basierende Zelle mit dem Chipbaustoff Silizium verbunden haben. Hierzu setzten sie mithilfe des Machine Learnings die Methoden des Directed Evolution ein – sie ahmten die Prozesse der natürlichen Evolution im Zeitraffer nach, um biologische Zellen herzustellen, die auf Kommando bestimmte Aufgaben erfüllen können.

Sprecher Ali Rahimi von Google AI-Technology sagte 2018 auf einer Konferenz: „Es gibt in unserem Feld echte Seelenqualen. Viele von uns haben das Gefühl, mit Technologie von Außerirdischen zu arbeiten.“

Wie funktioniert Directed Evolution?

Dabei ist das Grundprinzip der Directed Evolution schon seit Generationen bekannt: Die Herstellung von Käse, Joghurt, Brot und Bier basiert auf der Arbeit von Bakterien. Künstlich erzeugte Bakterien produzieren seit Jahren das Insulin für Diabetiker. Mit KI-Unterstützung ist es aber neuerdings möglich, auch Zellvarianten herzustellen, die in der Natur überhaupt nicht vorkommen und nun Bestandteile von Medikamenten produzieren. Ein MIT-Team fand im Februar 2020 ein neues Antibiotikum gegen multiresistente Krankenhauskeime, nachdem in einer Datenbank mit 107 Millionen Molekülstrukturen und anschließenden Labortests acht Kandidaten für neuartige Antibiotika gefunden wurden.

Das KI-System AlphaFold der Google-Tochter Deepmind erregte im Dezember 2018 weltweites Aufsehen, als es beim sogenannten CASP13-Wettbewerb alle 75 Konkurrenten zu weit abgeschlagenen Verlierern erklärte. Die Aufgabe war die Vorhersage, wie sich aus einer vorgegebenen Sequenz von Aminosäuren ein dreidimensionales komplexes Protein faltet – eine Herausforderung für Supercomputer mit monatelangen Rechenzeiten. Das Projekt Rosetta@Home von der University of Washington arbeitet aktuell mit 55.000 Computern von 1,4 Millionen Nutzern, meist in privater Hand, an der Berechnung der Proteinfaltungen, um Heilverfahren für AIDS, Krebs, Malaria, Alzheimer und Covid-19 zu entwickeln (siehe auch HCM-Ausgabe 01/2021). Einer der großen Erfolge war 2019 das besser verträgliche Design des Immun­abwehrproteins Interleukin-2 aus 133 Aminosäuren.

In seinem Buch „Das Experiment sind wir“ wagt Christian Stöcker einen Zukunftsausblick und verweist dabei auf die Robo-Labore des Bostoner Unternehmens Ginkgo: „In naher Zukunft werden Maschinen völlig selbstständig lebende Organismen züchten, die einem vorher exakt bestimmten Zweck dienen sollen (…).“

Manfred Kindler, Präsident des Krankenhaus-Kommunikations-Centrums e.V. (KKC), Kontakt: m.kindler@kkc.info

DNA als Datenspeicher

Die menschliche DNA beinhaltet etwa drei Milliarden Basen. Auseinandergefaltet wäre sie etwa 1,8 Meter lang und ausgedruckt würde sie etwa 5.000 Bücher füllen. Dennoch passt die Information von 1,5 Gigabyte auf einen handelsüblichen USB-Stick. Die 25.000 Gene für die 80.000 bis 400.000 Proteine machen nur etwa zehn Prozent der gesamten DNA aus. Die DNA eignet sich auch als externer Datenspeicher. 2017 speicherte ein Microsoft-Team 200 Megabyte Texte, eine Datenbank und ein Musikvideo in einem Bündel künstlicher DNA.