Digitalisierung und Entscheiderfabrik
Ein Mobilcomputer mit Apps für die Pflege, eine App für Hautarztkonsile oder ein umstrukturiertes Rechenzentrum – auf dem Entscheider-Event stimmten die Teilnehmenden über die Digitalisierungsthemen 2022 ab. Wie die Projekte User und Technik zusammenbringen sollen.
Pflegende, Ärzteschaft und IT im Einklang – bei den diesjährigen Digitalisierungsprojekten, die im Rahmen des Entscheider-Events der Entscheiderfabrik gewählt wurden, liegt der Fokus auf den Anwenderinnen und Anwendern. Alle Projekte hätten eines gemeinsam: die User mitzunehmen und Vertrauen in die Technik aufzubauen, stellte Andreas Henkel, IT-Leiter am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München, fest.
Die Teilnehmenden des Entscheider-Events wählen jedes Jahr aus zwölf Finalisten fünf Projekte, die innerhalb eines Jahres in den Einrichtungen im Rahmen eines Proof-of-Concepts die Digitalisierung des Gesundheitswesens vorantreiben sollen. „Wir haben drei IT-Projekte, eines von ärztlicher Seite und eines aus der Pflege“, sagte Dr. Andreas Weigand, Geschäftsführer KKRN Katholisches Klinikum Ruhrgebiet Nord und lobte die Heterogenität, die User sowohl technischer als auch fachlicher Seite mit einbezieht. Ein Jahr werden die Projekte von interdisziplinären Projektteams bestehend aus Kliniken, Industrie und Beratenden bearbeitet. Damit startet der neue Projektzyklus der Entscheiderfabrik, in dessen Rahmen Kliniken die digitalen Lösungen der Industrieunternehmen kostenfrei testen können.
Die fünf Digitalisierungsprojekte 2022 im Überblick
1 Das Rechenzentrum von morgen: Moderne Technologie und Automatisierung sollen den IT-Betrieb vereinfachen, effizienter und sicherer gestalten und Gesamtkosten reduzieren. Ein größerer Fokus auf klinische Anwendungen soll möglich sein. Klinikpartner sind das Klinikum Schloss Winnenden (Initiator), die Ameos-Gruppe und das Krankenhaus Porz am Rhein. Industriepartner: Nutanix Germany (Initiator) und secunet Security Networks.
2 Plattform für stationsübergreifende Prozesse: „Move the data not the care giver“ – Mobil und herstellerneutral vernetzt. Die Komplexität der klinischen Behandlung steigt und das hat für Pflegende Konsequenzen. Abhilfe dabei soll eine Plattform bieten, die Daten herstellerneutral und systemübergreifend integriert. Klinikpartner sind das Universitätsklinikum Bonn (Initiator) und die Universitätsmedizin Rostock. Industriepartner: Ascom Deutschland (Initiator), Dräger, Clinaris und Xitaso.
3 Mobilcomputer mit Telefon und drei Apps für die Pflege: Wie sieht ein zukunftsorientierter Pflegearbeitsplatz mit innovativer technologischer Ausstattung aus? Er verfügt über Mobilgeräte, Softwareapplikationen zum Alarmmanagement, Pflegemanagement (Workflowlösung zur Aufgabensteuerung) und geschützte Kommunikation. Klinikpartner sind die Asklepios Klinik Nord (Initiator) und das Westpfalz-Klinikum Kaiserslautern. Industriepartner: secunet Security Networks (Initiator) und Xitaso.
4 Sichere Anbindung vernetzbarer Systeme: Medizingeräte vernetzen zur Übertragung von Daten, Steuerung von Geräten sowie Überwachung und Support der einzelnen Geräte und dabei Sicherheitsstandards wie KRITIS B3S einhalten, hat eine hohe Relevanz. Klinikpartner sind das Universitätsklinikum Maastricht (Initiator) sowie die Elbe-Kliniken Stade und Buxtehude. Industriepartner: Novar (Initiator) und Lenus.
5 Hautarztkonsile per App: Mit der App „Dermanostic“ werden innerhalb 24 Stunden Diagnose und Therapieempfehlung an die Krankenhäuser übermittelt. Klinikpartner sind die Kliniken Südostbayern, Alexandergruppe. Industriepartner: dermanostic (Initiator) und vitagroup health intelligence.
Wie es bei den Digitalisierungsthemen 2021 weiter geht
Auf dem Entscheider-Event wurden auch die Ergebnisse der fünf Digitalisierungsthemen aus dem Vorjahr präsentiert. Die Projektteams feierten ihren Abschluss und wurden dafür ausgezeichnet.
- Zeit für das Wesentliche – Single-Sign-On-Lösung: Die Beteiligten dieses Projektes erklärten, dass es in allen drei Krankenhäusern weitergeht. Es seien auch KHZG-Gelder beantragt worden und zusätzliche Funktionalitäten im Test. Die Ergebnisse des Projektes sollten auf den Login in Medizintechnikgeräte erweitert werden.
- Optimal Bed Utilisation and Patient Flow within a hospital using real time patient flow: Das Klinikum Braunschweig hat eine EU-weite Ausschreibung veranlasst mit Changemanagement als wichtiger Baustein zum flächendeckenden Roll-out auf alle Standorte – Unity und Teletracking stehen als Partner fest.
- Health Data Office – Archivar 4.0 inside: Hier wird angestrebt, ein IHE-konformes Langzeitarchiv aufzubauen. Außerdem soll ein aktives Archiv geschaffen werden mit einem Dashboard. Das soll zukünftig Auswertungen ermöglichen, die durch Datenkompetenz auch die Forschung unterstützen.
- Closed loop – Sprachverständnis mithilfe der Künstlichen Intelligenz (KI): Der Testbetrieb der Kliniken der Stadt Köln wird auf Pilotstation weitergeführt und eine Evaluierung sowie Bewertung für die weitere Nutzung erfolgen voraussichtlich im Sommer.
- Kontaktlos, sicher und effizient: Videosprechstunde & Chatfunktion als Must-have der digitalen Patientenaufnahme: Das MRI (Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München) plant ein großes Projekt mit Rollout auf alle Stationen.
Wettbewerb um die fünf Digitalisierungsthemen 2023
Interessierte Kliniken und Industrieunternehmen können ihre Themenvorschläge für 2023 einreichen. Zunächst genügt die Zusendung eines Arbeitstitels. Bis zum 10. Juni 2022 muss das Abstract abgegeben werden. Ob Bewerbende für die Digitalisierungsprojekte unter die zwölf Finalisten auf dem Entscheider-Event 2023 kommen und die Idee ihres Projektes vorstellen können, hängt von dem Zeitpunkt ihrer Themen-Einreichung (Zusendung Arbeitstitel) und der Qualität ihres Abstracts ab. Ihre Themen können Interessierte unter www.entscheiderfabrik.com einsenden.
Was von den gewählten Themen zu erwarten ist
Das Projekt Dermanostic – Hautarzt per App kann „durch eine einfache Möglichkeit den Kliniken weiterhelfen“, sagt Meik Eusterholz, Feedbackgeber der Entscheiderfabrik 2022 und Geschäftsfeldleiter Healthcare bei Unity. Die App könne mit einer einfachen Integration in klinische Prozesse für das Fachpersonal den Patienten und Patientinnen eine bessere Versorgung ermöglichen. Henkel sah besonderes Potenzial in dem Projekt der neuen Rechenzentrumsstruktur. Hier werde das IT-Personal mitgenommen und Vertrauen in die IT geschaffen. Veränderte Prozesse könnten sowohl von fachlicher Seite, als auch technologischer Seite vorangetrieben werden. In diesem Spannungsfeld, das im Allgemeinen als Changemanagement beschrieben werde, könnten wegen des zeitlichen Aspektes nicht immer alle Akteure richtig bedient werden. Umso wichtiger sei es daher, Vertrauen in die IT aufzubauen und die User mitzunehmen. „Das Wichtigste ist tatsächlich, die User mitzunehmen“, bestätigte Weigand aus seiner Erfahrung. Er fand das Projekt drei „Ein medizinischer Mobilcomputer mit Telefon und Apps für die Pflege“ daher besonders wichtig. Es spiegele wider, wie Pflege mit der IT stark gemacht werden könne. Auch das Projekt „Move the data not the care giver“ könne Pflegende entlasten und die Vorteile von Technologie für die User hervorheben. Durch eine Vernetzung werde ein höheres Maß an Automatisierung erzeugt und eine höhere Qualität in der Patientenversorgung gewährleistet, erklärte Eusterholz. „Alles was der besseren Vernetzung und der Kompatibilität der verschiedenen technologischen, rechtlichen und persönlichen Gegebenheiten nützt, ist wichtig“, sagte Henkel.
Gegen Ende der Diskussion kam die Frage auf, ob sich die Projekte der Entscheiderfabrik in die richtige Richtung entwickeln. Die Technik rücke in den letzten Jahren vermehrt in den Hintergrund, man komme näher an die Menschen ran. „Der Patient wird mehr in die Therapie hineingezogen und mit ihm wird wertschätzender umgegangen. Das finde ich gut“, sagte Eusterholz. Henkel befand es als positiv, dass die User – also Pflegende und Ärzteschaft – mehr in die Erstellung neuer Technologien, z.B. Aufbau einer App, eingebunden werden. Das sei ein nötiger Schritt auf dem Weg zur digitalisierten Medizin.
„Die User werden mehr in die Erstellung neuer Technologien eingebunden. Das ist ein nötiger Schritt auf dem Weg zur digitalisierten Medizin.“
Andreas Henkel
„Wir brauchen keine weiteren Bürokratie-Booster“
Die Ergebnisse einer Diskussion am ersten Abend des Entscheider-Events mündeten in einer Düsseldorfer Erklärung, die v.a. praktikable Antworten auf Bundes- und Landesebene zu folgenden Fragestellungen fordert:
- Der Bearbeitungs- und Dokumentationsaufwand bei den KHZG-Mitteln ist eindeutig zu hoch, zumal sich Bedingungen im Verfahren ändern. Wie kommen wir zu einer vernünftigen Planbarkeit in angemessener Zeit?
- Weil das Verfahren zu lange dauert und nicht kalkulierbar ist, können wir die Auftragsvergabe nicht zeitnah abschließen, was angesichts überlasteter Anbieter zu weiteren Problemen führt. Darüber hinaus kann die Pönale von zwei Prozent des Umsatzes zu einer völlig unnötigen Insolvenzgefährdung der Häuser führen. Mit realitätsfremden Vorgaben verändern wir unser System nicht zielführend. Wann kommt die zwingend notwendige Laufzeitverlängerung?
- Stattdessen brauchen wir die Luft, um die regionale Versorgungslandschaft zu verändern. Wir wollen die Strukturen im Zusammenspiel mit den Gebietskörperschaften neu zuschneiden, wir sehen dort erhebliches Potenzial, wenn wir endlich als regionaler Akteur agieren können. Was muss geschehen, damit wir nicht zum Spielball der Kostenträger werden?
- Die Fördermittelbescheide unterliegen einem Rückforderungsvorbehalt, der wie ein Damoklesschwert wirkt, wie wir schon beschrieben haben. Auch die Key Performance Indikatoren bergen existenzielle Gefahren – was passiert zum Beispiel, wenn die 50 Prozent nicht geschafft werden – was nicht am schlechten Willen der Häuser liegt?
- Wir haben die Hybrid DRG‘s im Koalitionsvertrag sehr begrüßt, sie können ein wichtiger Schritt einer neuen Ordnung im System sein. Die Krankenhäuser sehen sich als gestaltenden Akteur einer ausgewogenen regionalen Versorgung. Werden die künftigen Regeln diesem Ziel gerecht oder brechen sie der stationären Versorgung das Rückgrat?
Beteiligte waren u.a. Peter Asché, Vizepräsident des Verbandes der Krankenhausdirektoren Deutschlands, Dr. Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender Deutsche Krankenhausgesellschaft, Prof. Dr. Axel Ekkernkamp, Ärztlicher Geschäftsführer BG Kliniken und Dr. Pierre-M. Meier, CEO Entscheiderfabrik.