Wissenschaftsrat Digitalisierung braucht datenbasierte Vernetzung

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Der Wissenschaftsrat hat ein Positionspapier zur Digitalisierung und Datennutzung für Gesundheitsforschung und Versorgung veröffentlicht. Darin empfiehlt er u.a. die Implementierung eines nationalen Gesundheitsforschungsdatenportales sowie den Ausbau von Management-Kompetenz hinsichtlich gemeinwohlorientierter Nutzung sensibler Daten.

Positionspapier Wissenschaftsrat Digitalisierung und Datennutzung
Der Wissenschaftsrat bezieht Stellung zur Digitalisierung in der Gesundheitsversorgung und Forschung. – © Wissenschaftsrat/Screenshot HCM

„Als essentielle Grundlage für die Nutzung der Potenziale der digitalen Versorgung und für die Etablierung einer dezentralen, mit Forschung kompatiblen Gesundheitsdateninfrastruktur empfiehlt der Wissenschaftsrat schon kurzfristig die Umsetzung einheitlicher (internationaler) Standards der Gesundheitsdatenerfassung, die zugleich den Qualitätsanforderungen der Forschung Rechnung trägt, und die Speicherung der Daten in interoperablen IT-Systemen: So können große Datenmengen aus unterschiedlichen Erhebungskontexten geteilt, zusammengeführt und für Forschungszwecke nutzbar gemacht werden.“

Bei der Digitalisierung der Versorgung steht der Mensch im Zentrum

So lautet die erste Empfehlung des Wissenschaftsrates in seinem heute (11. Juli 2022) vorgestellten Positionspapier „Digitalisierung und Datennutzung für Gesundheitsforschung und Versorgung“. Laut Wolfgang Wick, Vorsitzender des Ausschusses Medizin und Professor für klinische Neuroonkologie und Ärztlicher Direktor am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen an der Universität Heidelberg, gibt es darin eine zentrale nationale Leitlinie: „Digitalisierung ist eine Aufgabe von nationaler Tragweite“, deren Fokus auf der „chancenorientierten Nutzung“ und den Menschen liegen muss. Dabei sei die Einbindung der Bürgerinnen und Bürger, ebenso des Gesundheitspersonals und der Wissenschaft in die Gestaltung von Digitalisierung des Gesundheitssystems eine wesentliche Gelingensbedingung.

Wissenschaftsrat: Größtes Defizit in der Digitalisierung ist die mangelnde Vernetzung

Die mangelnde Vernetzung und Integration von Gesundheitsdaten ist nach Einschätzung des Wissenschaftsrates das aktuell größte Defizit in Deutschland. „Wir haben einen sehr sinnvollen Datenschutz in Deutschland, der aber wegen des damit verbundenen großen Aufwandes dazu beiträgt, dass eine Datenauswertung oft als zu mühsam abgetan wird“, erklärt Wick. Das habe sich v.a. in der Pandemie gezeigt: Hier sei man in Deutschland auf Daten aus anderen Ländern angewiesen gewesen, beispielsweise aus Israel, den USA oder Asien. „Wir wissen, dass wir durch das Fehlen von Daten Nachteile im Alltag haben“, gibt Wick zu bedenken und mahnt, den „Aufholprozess“ jetzt zu starten. Der Wissenschaftsrat empfiehlt als übergeordnetes strategisches Ziel für die Realisierung der Potenziale der Digitalisierung und Datennutzung für Gesundheitsforschung und Versorgung die „datenbasierte Vernetzung von relevanten Akteuren, Einrichtungen und Dateninfrastrukturen des Gesundheits- und Wissenschaftssystems, auch über Sektoren hinweg“.

Ich werde jeden Tag ungeduldiger. Wir müssen endlich vorankommen.

Prof. Gernot Marx
Sprecher des Vorstandes des Innovationszentrums Digitale Medizin Aachen

Digitalisierung: zwischen Vision und Wirklichkeit

Laut Wissenschaftsrat ist das digitalisierte Gesundheitssystem gewappnet für die Bewältigung der großen gesellschaftlichen Herausforderungen des demografischen Wandels und der Klimakrise. Im Positionspapier werden dafür einige zentrale Beweise vorgelegt. Allerdings: „Gegenwärtig sind die für eine (…) optimierte Forschung und Versorgung erforderlichen Daten größtenteils entweder nicht digital vorhanden, oder aber sie lagern in diversen unzugänglichen oder nicht vernetzten Datensilos“, heißt es in den einleitenden Ausführungen. Das Gesundheitssystem der Gegenwärt ist von einer Vielzahl unterschiedlicher Systeme geprägt, deren Bedienung und Benutzung von vielen eher als zusätzlicher Aufwand denn als Erleichterung oder Unterstützung empfunden werde. Weiter heißt es: „Personen, die mit spezieller Management-Expertise die Einführung und Anpassung der Systeme begleiten und das Gesundheitspersonal bei ihrer effektiven Nutzung unterstützen, sind nicht in ausreichender Zahl und Bereite vorhanden.“

Digitalisierung: Eine Frage der Priorisierung?

„Die Zeit läuft uns davon“, erklärt Gernot Marx, Professor für Intensivmedizin und Direktor der Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care des Aachener Universitätsklinikums. Er war Gast des Ausschusses Medizin des Wissenschaftsrats während der Erarbeitung des Positionspapieres. In den kommenden Jahren müssten entscheidende Fortschritte etabliert werden: „Ich werde jeden Tag ungeduldiger. Wir müssen jetzt endlich vorankommen. Wir haben das KHZG, aber es muss verstetigt werden, denn wir haben einen unglaublichen Bedarf an Infrastruktur. Wir müssen was technisch möglich ist, Realität werden lassen.“ Ohne die Digitalisierung, so Marx, werde die Versorgung der zunehmenden Anzahl an versorgungsbedürftiger Menschen, nicht möglich sein. Auch Wick sieht die Digitalisierung im Gesundheitswesen auf einer Ebene mit dem Handlungsbedarf in Bereichen des Klimas, der Umwelt aber auch der Ernährung. „Gesundheit ist ein Grundbedürfnis und ein Grundrecht, um dem gerecht zu werden, brauchen wir die Digitalisierung und die gesetzliche Unterstützung“, sagt Wick.