Zahlen und Fakten Die Zukunft hat begonnen

Ferngesteuerte Pflegewagen, „mitdenkende“ Trinkbecher, smarte Pillendosen, neurorobotale Exoskelette und der OP von morgen: Die Diskussion um eine papierlose Dokumentation und Pflegeroboter ist fast schon Schnee von gestern.Als Referenten auf dem Gesundheitspflege-Kongress Anfang Oktober in Hamburg neueste Technologien vorstellten, wurde es im Saal immer unruhiger und lauter. Die Pflegerobbe PARO für Menschen mit Demenz – so weit längst bekannt. Pflegeroboter – große Skepsis, wie schon auf dem Demografiekongress im September in Berlin (HCM 10/2015 ab Seite 14). Aber jetzt noch ein ferngesteuerter Pflegewagen, dazu „mitdenkende“ Trinkbecher und Pillendosen? Sensorenpflaster, die die Liegeposition der Patienten kontrollieren? Und demnächst Handrückenimplantate, die autark Puls und Blutzucker messen? Das schien vielen anwesenden Pflegenden so futuristisch wie Angst einflößend und zu viel. Folgt man den Ausführungen, hat die smarte Zukunft abseits von Gesundheits-Apps und Wearables längst begonnen. Aktuelle Zahlen verdeutlichen am ehesten, warum Fachleute so zuversichtlich auf Technologien setzen. Beginnen wir mit den jüngsten Angaben zu Internetnutzern. Laut ARD-ZDF-Onlinestudie im Oktober ist die Anzahl derer, die das Internet täglich nutzen, 2015 um 3,5 auf 44,5 Millionen (63 Prozent der Deutschen) gestiegen. Zugenommen hat auch die Unterwegsnutzung: Mittlerweile greifen 30,7 Millionen (55 Prozent) unterwegs auf Netzinhalte zu, das sind 3,2 Millionen (+ 5,0 Prozentpunkte) mehr als im Vorjahr. Ebenfalls ist die Nutzung von Videoinhalten und Fernsehsendungen sowie von Audioinhalten angestiegen. Interessant: Während bei den jüngeren Zielgruppen bereits seit Jahren eine Sättigung festzustellen ist, gehen die Zuwachsraten v.a. von den über 60-Jährigen aus, von denen inzwischen die Hälfte das Internet nutzt. Kurzfazit: Die für die Gesundheits- und Pflegebranche zunehmend relevante Zielgruppe der Senioren zeigt mehr denn je eine freiwillige Technikaffinität auf, die nicht nur Kommunikation, sondern auch Suchmaschinen und bewegte Bilder gezielt verfolgt. Dazu passen andere Studien und Analysen zur Pflege, zumindest anteilig. Der ZukunftsMonitor 2015 des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) ergab, dass 55 Prozent der Befragten meinten: „Technologien im Gesundheits- und Pflegebereich bergen mehr Chancen als Risiken für die Menschheit.“ Laut TNS Emnid und BMBF-Auswertung halten es durchschnittlich 40 Prozent der Bundesbürger ebenso für „gut denkbar“, sich Implantate zur Steigerung der geistigen Fähigkeiten einpflanzen zu lassen (bei den 14- bis 19-Jährigen sind es sogar 62,3 Prozent, bei den 50- bis 69-Jährigen immerhin gut 52 Prozent). Anders – und damit widersprüchlich – verhalten sich Auskünfte zu Pflegerobotern. Demnach kann sich ein Viertel der deutschen Bevölkerung „sehr gut“ oder „gut“ vorstellen, von ihnen gepflegt zu werden (ZukunftsMonitor 2015). Das heißt aber auch: Insgesamt 67 Prozent finden das „schlecht“ oder „sehr schlecht“. So weit zu den Erkenntnissen und Wünschen seitens der Patienten. Und wie ist es um die Konditionen der Pflegenden bestellt? Schon die EFFIROB-Studie des BMBF – zu Efficient Innovative Service-Robotics – ging bis Ende 2010 auf Basis von gut 50 Expertengesprächen der Frage nach, wie es z.B. zum Bereitstellen von Pflegeutensilien oder zur Mobilisation aussähe. Das erste (Kurz-)Ergebnis: Aufgrund der entworfenen Szenarios wäre (damals) keine Roboterleistung für Pflegeutensilien „günstiger als die manuelle Erbringung“ gewesen. Jedoch prophezeite das Papier u.a. anlässlich des (damals) anstehenden Fachkräftemangels: „Die physische und psychische Belastung des Personals werden zunehmend zu einem Problem – insbesondere wenn dadurch die Leistungsqualität nachlässt. Durch die hier vorgeschlagenen Serviceroboter-Lösungen kann eine signifikante Entlastung des Personals bei ggf. sogar gleichzeitiger Erhöhung der Leistungsqualität erreicht werden.“ Das zweite (Kurz-)Ergebnis: „Gerade im Bereich Pflege ist die Investition in Serviceroboter wegen der sich ‚verschlechternden‘ Rahmenbedingungen auch aus einem anderen Blickwinkel zu bewerten: Auf der einen Seite wird der demografische Wandel zu einer weiteren Erhöhung des Leistungsbedarfs führen, auf der anderen Seite ist mit einer Verschärfung des Fachkräftemangels zu rechnen. Will man weiterhin die Leistungsbereitschaft sicherstellen, sind weitere Produktivitätssteigerungen notwendig. Diese können durch den Serviceoboter-Einsatz erreicht werden.“ Fünf Jahre nach der EFFIROB-Studie lässt sich festhalten: Dieser Weg wird längst umgesetzt. Vielleicht noch nicht überall angekommen, aber bereits entwickelt und in den Startlöchern. Angefangen bei der elektronischen PflegedokumentationWie Heiko Mania, Consultant Nursing Informatics am NursIT-Institute GmbH Berlin, auf dem Gesundheitspflege-Kongress ausführte, beträgt die Digitalisierung der Pflege in Österreich und der Schweiz schon mehr als 60 Prozent, in den USA rund 36 Prozent, in Deutschland bislang nur circa 22 Prozent. Ein komplett papierloses Krankenhaus wie das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf ist für unsere Verhältnisse also weiter eine Ausnahme. Obwohl der Pflegeinformatiker Mania die Vorteile der digitalen Pflegedokumentation deutlich benennt: Sie schaffe u.a. Einheitlichkeit, Lesbarkeit und Auswertbarkeit bis zur Abrechnung, darüber hinaus Entscheidungsunterstützung, Steigerung von Patientensicherheit und Versorgungsqualität bis hin zur gesamten Erhöhung von Effizienz. Auch ein intelligenter Pflegewagen ist im Anmarsch: Er kommt auf Anforderung, hält Pflegematerial vorrätig und dokumentiert den Verbrauch. Das Fraunhofer IPA entwickelt derzeit dieses Gefährt – im Rahmen des vierjährigen BMBF-Verbundprojekts „Servicerobotik zur Unterstützung bei personenbezogenen Dienstleistungen“ (SeRoDi) –, das die Pflegekräfte im Berufsalltag informatorisch und physisch unterstützt. Einen ersten Prototyp haben die Wissenschaftler im Frühjahr 2015 fertig gestellt.Unterstützend könnten dabei der „mitdenkende“ Trinkbecher aus den USA und die intelligente Pillendose aus China sein: Der schlaue Becher berechnet pro Kopf die Flüssigkeitsaufnahme und warnt rechtzeitig vor Dehydrierung, während die smarte Dose aufpasst, dass ein Patient pünktlich seine Tabletten entnimmt. Noch autarker könnte es zugehen, wenn sich ein Handrückenimplantat durchsetzte: Dieser gut 2 cm kleine US-Mikrochip kann etwa den Puls und die Blutzuckerwerte regelmäßig messen. Aber, bleiben wir noch einmal auf dem Boden der Tatsachen. Dort rollen seit dem BMBF-WiMi-Care-Projekt (Förderung des Wissenstransfers für eine aktive Mitgestaltung des Pflegesektors durch Mikrosystemtechnik) testweise zwei Roboter über Heim- bzw. Krankenhausflure. Das eine ist der Pflegeroboter Care-O-bot®, der v.a. ältere Menschen zur Flüssigkeits- und Nahrungsaufnahme unterstützen soll. Der andere nennt sich CASERO und ist ein fahrerloses Transportsystem. Dazu heißt es in den WiMi-Unterlagen im Hinblick auf Senioren „als wirtschaftlich bedeutsame, erfahrungs- und kompetenzreiche Gruppe unserer Gesellschaft“: „Die international steigenden Absatzzahlen von Servicerobotern und die prognostizierte positive Entwicklung lassen vermuten, dass in diesem Segment erhebliches Potenzial liegt.“ Einzig belegt scheint derzeit die Wirksamkeit von Exoskletten, wie sie im Zentrum für Neurorobotales Bewegungstraining/Cyberdyne Care Robotics am Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikum Bergmannsheil in Bochum oder auch im Unfallkrankenhaus Berlin erprobt werden. Die Roboteranzüge für Rückenmarkverletzte, gesteuert über Nervenimpulse der querschnittgelähmten Patienten, geben eine greifbare Nähe zu mehr Mobilität. Am greifbarsten ist jedoch der „Hightech-Operationssaal der Zukunft“, wie ihn das Innovationszentrum für computerassistierte Chirurgie (ICCAS) in Leipzig verfolgt: Informatiker, Ingenieure und Mediziner entwickeln gemeinsam moderne Assistenzsysteme, die chirurgische Arbeitsabläufe im OP überwachen, umfassende Patientendaten zusammenführen und so die Chirurgen bei ihren komplexen Therapieentscheidungen unterstützen. Eine Neuheit ist die so genannte magische Linse, die es dem Chirurgen gestattet, mithilfe eines iPads bereits vor dem Eingriff ins Innere des Patienten zu sehen, um seinen Schnitt optimal zu setzen und während der OP über den Ort des Geschehens informiert zu sein. Carolina Heske

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