Planetare Gesundheit Die Umwelt braucht eine Therapie

Individuelle, öffentliche und planetare Gesundheit hängen zusammen. Eine Erkenntnis, die spätestens seit der Canmore-Declaration, einer Grundsatzerklärung für planetare Gesundheit (Planetary Health) allgemein gültig ist. Dafür mehr Bewusstsein zu schaffen, ist mitunter Aufgabe der Branche.Medizinischer Notfall Klimakrise: Unterschiedliche Forschungsbereiche weltweit sind in Bewegung, um die Bedeutung der wechselseitigen Abhängigkeit der Gesundheit des individuellen Menschen von öffentlicher und planetarer Gesundheit zu verdeutlichen. Diese Erkenntnis ist keine neue, erfährt aber gerade durch die steigende Bedeutung von Nachhaltigkeit und Umweltbewusstsein in Gesellschaft und Politik den lange vermissten Aufschwung. „Wenn wir unsere Haltung und unser Verhalten, einschließlich unserer Wirtschaftsweise nicht ändern, übergeben wir den folgenden Generationen eine zunehmend unbewohnbare Erde und vieles von dem, was der medizinische Fortschritt bisher erreicht hat, steht wieder in Frage“, erklärt Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann. Sie erforscht die Interaktion Umwelt–Mensch und Umwelt–Umwelt. Die Folgen der Klimakrise auf Umwelt und Gesundheit sind ihre Kernthemen. Im Gespräch mit HCM erklärt die Professorin mit Lehrstuhl an der Universität Augsburg: „Die Umwelt macht uns krank.“ Laut „Global Burden of Dis-ease“ hat sich die Lebenserwartung zwar aufgrund besserer medizinischer Versorgung gesteigert, gleichzeitig habe sich aber die Gefahr durch Umweltverschmutzung und Temperaturschwankungen massiv erhöht. „Das bedeutet: Was wir durch bessere Ernährung, Impfung und Hygiene erreicht haben, verlieren wir, indem wir die Umwelt so gestalten, dass sie uns schadet“, sagt Traidl-Hoffmann. An diesem Punkt setzt planetare Gesundheit an. Wenn die Erde krank ist, ist der Mensch das auch„Planetare Gesundheit oder Planetary Health betrachtet und beachtet den humboldtschen Gedanken, der nahelegt, dass alles mit allem in Verbindung steht. Der Mensch ist Teil des des Organismus Erde. Wenn die Erde krank ist, ist auch der Mensch krank“, erläutert die Professorin. Fehlendes Bewusstsein dessen sorgt für humanitäre Sonderlagen wie die Corona-Pandemie. Denn durch das Überschreiten von planetaren Grenzen und das Eingreifen ins Wildleben steigt laut Traidl-Hoffmann das Risiko dafür weiter. Planetare Gesundheit beeinflusst auch nicht übertragbare Erkrankungen (NCD) wie Krebs, Asthma oder verschiedene kardiovaskuläre Erkrankungen. Sie alle sind laut Traidl-Hoffmann stark umweltbeeinflusst und mittlerweile chronisch. „Was die Menschheit macht, ist Suizid“ Die Diagnose ist bekannt, nur startet die Therapie nicht. Im Grunde ein Kunstfehler. „Eine Diagnose allein bringt nichts, wenn die Therapie nicht startet“, mahnt die Forscherin, „was die Menschheit aktuell macht, ist Suizid.“ Aber Handeln ist noch möglich. Auch Healthcare-Einrichtungen können und müssen hier einen Beitrag leisten. „Ihr größter Hebel sind Ernährung und Energie“, sagt Traidl-Hoffmann. Wenn Einrichtungen auf fleischfreie Ernährung umstellen, auf regenerative Energien setzen sowie ihren Energieverbauch reduzieren, könne bereits ein enormer Beitrag geleistet werden. „Aktuell befinden wir uns an einem Kipppunkt. Der Healthcare-Bereich wird sich seiner Rolle immer bewusster“, resümiert Traidl-Hoffmann. Ob Optimismus angebracht ist? Jedenfalls hat sich der Gesundheitssektor mit 50 weiteren Ländern darauf geeinigt, CO2-neutral zu werden. bf Wie gelingt die Klimakommunikation?Christopher Schrader ist seit 30 Jahren Wissenschaftsjournalist für die Themengebiete Klimaforschung, Energietechnik, Umwelt, Physik und Geowissenschaften. Im Gespräch mit HCM erklärt der Experte, wie Vertreterinnen und Vertreter aller Gesundheitsberufe mit Klimakommunikation einen Beitrag zu einem besseren Verständnis von planetarer Gesundheit leisten können. 1 Klimakommunikation – was ist das eigentlich genau und warum sollten sich Gesundheitsberufe damit beschäftigen? Schrader: Die meisten Menschen ahnen, dass das bequeme Leben in den Industrieländern vorbei ist. Diese Ahnung ist unbequem. Es ist liegt also nahe, eine solche Thematik nicht zu verstehen, denn das würde bedeuten, die Konsequenzen als wahr anzuerkennen. Wer die Brücke zum Verständnis naturwissenschaftlich fundierter Daten und Fakten schlagen will, muss Klimakommunikation betreiben. Dabei kommt es auf das richtige Wording an, dass Menschen auch emotional verstehen lässt. Das kann z.B. gelingen, wenn man von „Krise“ statt „Wandel“ spricht. So wird deutlich, dass ein aktiver, schneller Handlungsbedarf besteht. Die Klimakrise stellt eine enorme Gesundheitsbedrohung dar, insofern ist sie etwas, gegen das sich die Menschen im Gesundheitswesen stemmen sollten. Sie genießen viel Vertrauen. Und können sagen: Wer gegen die Klimakrise aktiv wird, verbessert oft auch die eigene Gesundheit. Das nennt man „Co-Benefits“. 2 Welche Rolle nehmen Healthcare-Einrichtungen dabei ein? Schrader: Einrichtungen können auf zwei Ebenen etwas erreichen: Indem sie selbst klimafreundlich und nachhaltig agieren und indem sie den Mitarbeitenden die Möglichkeit geben, in der Klimakommunikation mitzuwirken. Das gelingt z.B. über eine offene Kommunikationskultur am Arbeitsplatz und im Patientenzimmer. 3 Haben Sie Ratschläge für eine effektive Klimakommunikation für die Healthcare-Branche? Schrader: In erster Linie geht es darum, mit medizinischen und wissenschaftlichen Fakten nicht Angst, sondern Hoffnung auszulösen. Ziel sollte es sein, Verantwortungsgefühl für die eigene Gesundheit sowie die Umwelt hervorzurufen. Wer Lösungen und „Co-Benefits“ statt Problemstellungen aufzeigt, gibt den Menschen das Gefühl von Selbstwirksamkeit und Einflussmöglichkeiten. Wer das Gefühl hat, etwas erreicht zu haben, hat Spaß und macht weiter. Die Fragen stellte Bianca Flachenecker. Was ist Planetary Health?Im April 2018 wurde mit der Canmore-Erklärung eine Grundsatzdeklaration für planetare Gesundheit, also Planetary Health, von internationalen Expertinnen und Experten verfasst. Sie enthält zehn Prinzipien, die im Folgenden gekürzt dargestellt werden: nachhaltige Vitalität aller SystemeWerte und ZweckIntegration und EinheitGesundheitsnarrativplanetares BewusstseinNaturverbundenheitbiopsychosoziale InterdependenzenHaltungElitismus, sozialer Dominanz und Marginalisierung entgegenwirkenVerpflichtung zur Gestaltung neuer normativer VerhaltensweisenPlanetary Health beschreibt demnach die Intaktheit der Beziehungen innerhalb, von und zwischen planetaren Ökosystemen als Voraussetzung für das Wohlergehen der menschlichen Zivilisation. Planetary Health ist untrennbar verbunden mit der Erarbeitung von Lösungen, z.B. gesunde Ernährungsformen und die Entwicklung von Narrativen für ein Gelingen der Transformation. Mehr dazu im Buch „Planetary Health“ (Infobox S. 32) und www.thecanmoredeclaration.weebly.com Zum NachlesenProf. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann, PD Dr. Christian M. Schulz, Dr. Martin Herrmann und Prof. Dr. Babette Simon erklären in ihrem neuen Fachbuch "Planetary Health. Klima, Umwelt und Gesundheit im Anthropozän" (erhältlich bei: www.mwv-berlin.de), wie sich planetare Gesundheit auf unterschiedliche medizinische Fachbereiche auswirkt. Das Buch kombiniert neue wissenschaftlich Erkenntnisse mit Handlungsempfehlungen für alle, die im Gesundheitswesen tätig sind. Einen kostenlosen Auszug dazu gibt exklusiv bei HCM.

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