„Die Pflege wird heute zu sehr singulär gesehen“

20 Jahre Pflegeversicherung – Zeit für eine Bilanz. Die zog Prof. Dr. rer. pol. Günter Neubauer vom Institut für Gesundheitsökonomik (IfG) auf dem Hauptstadtkongress 2014. In HCM erklärt der Fachmann, warum er dem aktuellen Stand skeptisch gegenübersteht.Nach wie vor ist Deutschland das einzige Land, das eine Pflegeversicherung eingeführt hat. Doch 20 Jahre später bleibt da-ran noch viel zu tun, weiß Prof. Dr. Günter Neubauer. Der Direktor des Instituts für Gesundheitsökonomik (IfG) über die wichtigsten Notwendigkeiten. HCM: Herr Prof. Dr. Neubauer, warum sind Sie mit der Pflegeversicherung unzufrieden? Neubauer: Die Pflegeversicherung hat in den letzten zehn Jahren stagniert, insbesondere was die Pflegesätze für die stationäre Pflege angeht. Eine Konsequenz daraus ist, dass Pflegekräfte schlecht vergütet werden und dadurch der Beruf wenig attraktiv ist. Eine stetige Dynamisierung der Vergütungssätze ist geboten. Auch fehlt es an ernsthaften Strukturverbesserungen. Bislang beschränkte sich die Politik darauf, den Beitragssatz anzuheben, ohne strukturelle Reformen in Angriff zu nehmen. HCM: Warum steht die Pflegeversicherung 20 Jahre nach ihrer Einführung nicht besser da? Neubauer: Die Pflege wird heute zu sehr singulär und zu wenig verflochten mit den übrigen Lebensbereichen der Pflegebedürftigen gesehen. Tatsächlich sind aber auch Wohnungsumfeld, Prävention, medizinische Reha wie auch Familiensituation betroffen. Wir brauchen ein umfassenderes, systemisches Denken und Handeln. HCM: Wo sehen Sie inhaltlich den größten Restrukturierungsbedarf? Neubauer: Zum einen ist die Leistungsvergütung anstelle der Kostenerstattung stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Das heißt, dass sich die Vergütungen für ambulante und stationäre Versorgung ein Stück annähern müssen. Zum anderen sind sowohl die ärztliche Versorgung als auch die Medikamentenversorgung wenig auf die spezifischen Bedürfnisse der Pflegebedürftigen ausgerichtet. So sollte die Arzneimittelversorgung grundsätzlich über einen patientenindividuellen Blister erfolgen, der eine besser abgestimmte und zuverlässigere Versorgung ermöglicht. HCM: Demgegenüber stehen die abnehmenden Beitragszahler, aktuell auch mehr Frührentner ab 63. Wie lange wird so eine Versicherung noch funktionieren? Neubauer: Die Pflegeversicherung wird massiv von der demografischen Veränderung betroffen sein. Weniger aktive Beitragszahler und mehr Leistungsempfänger hat die Pflegeversicherung in den nächsten 30 Jahren zu bewältigen. Von daher sind die derzeitige Erleichterung der Frühverrentung wie auch die erhöhten Leistungen für die Rentnergeneration ein Scheck, den die nächste Generation einlösen muss. HCM: Was also muss die Bundesregierung jetzt dringend ändern? Neubauer: Dringend erforderlich ist es, dass wir die Zahl der aktiven Beitragszahler erhöhen. Noch immer hat Deutschland rund fünf Millionen Erwerbsfähige, die kaum Beiträge an die Sozialversicherung entrichten. Hier sind v.a. schulische Ausbildung, berufliche, lebenslange Weiterbildung und ein verstärktes betriebliches Gesundheitsmanagement für ältere Arbeitnehmer angesagt. Aber auch dem Grundsatz „Prävention vor Pflege“ muss mehr Gewicht zugeordnet werden. Hier sind die geriatrische Reha und häusliche Präventionsmaßnahmen wegweisende Instrumente, die intensiver genutzt werden müssen. Die Fragen stellte Carolina Heske, freie Journalistin, Kontakt: Caroheske@aol.com.

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