Interview mit Dr. Dr. Jamie Metzl Die gehackte Evolution

Erstmals in ihrer Geschichte besitzt die Menschheit das Handwerkszeug, um den eigenen Genpool zu verändern. Wie weit werden wir dazu gehen? HCM sprach mit dem US-Technologieexperten Dr. Dr. Jamie Metzl über die Chance für scheinbar unbegrenzte Möglichkeiten – und über die Gefahr von Manipulation bis Selektion.Es ist zu schön, um wahr zu sein: Erbkrankheiten verhindern, Seuchen abwenden, Krebs heilen, die Folgen des Alterns aufhalten etc. Immer näher rückt der Mensch der Möglichkeit, seine Nachfahren zu optimieren. Und zwei Dinge scheinen sicher, so Dr. Dr. Jamie Metzl: Wenn eine Technologie erst einmal entwickelt ist, wurde sie noch immer genutzt. Und wenn Eltern ihren Kindern Leid und Krankheit ersparen können, werden sie es tun. Hand aufs Herz: Würden Sie das nicht auch machen? Das genau ist des Pudels Kern, den der US-Technologieexperte in seinem neuen Buch „Der designte Mensch“ verfolgt – wie weit gehen wir für unsere Wünsche? Schließlich ist der Vor-marsch der Gentechnik nicht mehr aufzuhalten, sondern die Frage ist nur, ob wir dafür Regeln und v.a. Grenzen haben. HCM fragte nach zum aktuellen internationalen Stand. Herr Dr. Dr. Metzl, „all unser Sein ist Frucht unseres Denkens“ lautet eine buddhistische Weisheit, die Sie Ihrem Werk voranstellen. Warum sind wir dermaßen von Optimierung beseelt? Metzl: Unsere Spezies hat unter den Tieren die beispiellose Fähigkeit, sich unsere Welt vorzustellen. Es war schon immer so, dass unsere Absichten und tiefsten Gedanken definieren, wer wir sind und wer wir werden. Aber heute haben unsere Wissenschaft und Technologie, geleitet von unseren Vorstellungen und Absichten, die Fähigkeit, das gesamte Leben auf der Erde, einschließlich unseres eigenen, neu zu gestalten. Um Spidermans Uncle Ben zu zitieren: „Mit großer Kraft geht große Verantwortung einher.“ Steht dieses Streben nicht im Widerspruch zu schwer erkämpften Trends wie Diversität und personalisierter Medizin? Metzl: Technologien besitzen kein eingebautes Wertesystem. Es liegt an uns, unsere heiligsten Werte in jeden Aspekt unserer Entscheidungsfindung über den Einsatz unserer leistungsstärksten Technologien einfließen zu lassen. Wenn wir Vielfalt heute nicht schätzen, werden wir morgen nicht für eine Welt kämpfen können, die Vielfalt feiert und in sie investiert. Aus genetischer Sicht ist Vielfalt die einzige Überlebensstrategie unserer Spezies. Daher sollten wir sehr vorsichtig sein, wenn wir überlegen, Maßnahmen zu ergreifen, die diese Vielfalt einschränken könnten. Wie sehen Sie persönlich diese Entwicklung: Welche Eingriffe halten Sie für vertretbar, welche gehen zu weit? Metzl: Die Reichweite der humanen Gentechnik in den nächsten Jahrzehnten und Jahrhunderten ist nahezu unbegrenzt. Wir müssen äußerst demütig sein und erkennen, dass es eine große Sache ist, komplexe Systeme zu verändern, die sich über Milliarden von Jahren entwickelt haben. Gentherapien und andere Methoden zur Behandlung von Krankheiten werden uns allen bald vertraut sein. Dann werden uns daran gewöhnen, Spermien, Eier und vorimplantierte Embryonen zu bearbeiten, um tödliche Krankheiten zu verhindern. Mit der Zeit werden wir uns zunehmend an den Einsatz von Gentechnik für viele andere Zwecke gewöhnen, einschließlich der Möglichkeit, dass Menschen in einer heißeren Welt oder im Weltraum besser leben können. Diese Möglichkeiten werden in einem sich ständig ändernden sozialen Kontext erprobt, in dem die Tabus von heute morgen zur Normalität werden. Ihr Buch heißt im Original „Hacking Darwin“. Hat die Gentechnik die Evolution bisher nur gehackt oder ist sie schon auf der Überholspur? Metzl: Wir Menschen haben uns bis heute durch die klassischen darwinistischen Treiber der Evolution entwickelt: zufällige Mutation und natürliche Selektion. Die neuen Werkzeuge der genetische Revolution ermöglichen es uns, unseren eigenen Mutations- und Selektionsprozess zu steuern. Entweder hacken wir die Evolution oder die Evolution selbst entwickelt sich weiter. Wir sind sicherlich auf der Überholspur dieses Prozesses, aber die Geschwindigkeit wird immer weiter zunehmen. Das ist der wesentliche Punkt der exponentiellen Veränderung. Wenn wir die Änderungsrate anhand unserer eigenen Erfahrung beurteilen, sind wir viel zu konservativ. Die Existenz der Menschen hängt mehr denn je auch von einem dramatischen Klimawandel ab. Könnte es gelingen, unsere Spezies z.B. gegen Hitze resistent zu züchten? Metzl: Mehr als 99 Prozent aller Arten sind in den letzten 3,8 Milliarden Jahren ausgestorben. Dies geschieht, wenn sich die Umwelt ändert und sich eine Art nicht anpassen kann. Der Mensch verändert die Welt um sich herum schneller, als die traditionelle Darwin-Evolution folgen kann. Es ist leicht vorstellbar, dass wir in unserer gegenwärtigen biologischen Form nicht überleben können. Es ist weitaus besser, unsere Umwelt heute zu retten, wenn wir noch Zeit haben, aber selbst wenn wir das vermasseln, gilt mein Interesse doch v.a. dem Überleben der Menschheit. Möglicherweise brauchen wir Gentechnik, um dies zu ermöglichen. Trotzdem kann es nicht nur um unser biologisches Überleben gehen. Das Spirituelle gehört genauso dazu. Wir müssen ständig in das Warum investieren, das mit dem Wie einhergehen muss. Noch weitergedacht: Werden Menschen auf der Erde überhaupt überleben? Metzl: Ich bin ziemlich zuversichtlich, dass die Menschen überleben werden. Und ich bin mir auch sicher, dass die Menschen nicht auf der Erde überleben werden. In ungefähr fünf Milliarden Jahren wird unsere Sonne ein roter Riese sein und die Erde unbewohnbar machen. Wir sind dann hoffentlich schon lange nicht mehr da, werden uns auf sicherere Räume verteilt haben. Wir werden uns noch weiterentwickeln und Sie können sicher sein, dass sich diese zukünftigen Menschen in einigen sehr wichtigen Punkten von uns unterscheiden werden. Was sagt denn der Dalai Lama zum Thema? Metzl: Der Dalai Lama hat wunderbar über die Notwendigkeit eines starken moralischen Kompasses geschrieben, den wir brauchen, um unseren Einsatz von Gentechnologien zu steuern. Ich kann ihm da nur zustimmen. Die Welt, die sich vor uns auftut, erfordert, dass wir Kosten und Nutzen wissenschaftlicher Anwendungen abwägen, um den bestmöglichen Kurs zu finden und zugleich unsere Menschlichkeit zu vervollkommnen. Seine Heiligkeit, die ihr eigenes Exemplar von „Hacking Darwin“ besitzt, weiß, dass Gentechnologien Leben ebenso retten wie schädigen können. Wenn Sie die Chance hätten, per Gentechnik etwas an sich selbst zu ändern – was wäre das? Metzl: Ich würde so lange und gesund wie möglich leben. Dann würde ich diese ganze zusätzliche Zeit nutzen, um zu versuchen, unsere Welt zu einem besseren Ort zu machen. Ich hasse es, wenn Leute sagen, dass Verfall und Tod unser unvermeidliches Schicksal sind. Es ist jedes Mal ein Verbrechen gegen das menschliche Potenzial, wenn ein Kind an einer genetischen Krankheit stirbt, aber auch, wenn ein 90-Jähriger an Demenz erkrankt und den Verstand verliert. Wie wunderbar wäre es, wenn jeder 90-Jährige noch zehn Jahre lang Liebe, Ideen und Weisheit teilen könnte. Das wäre besser für uns alle. Die Fragen stellte Carolina Heske.