Finanzierung von Ambulantisierung Das Spiel wird vom Ambulanten aus entschieden

Zugehörige Themenseiten:
Finanzen & Investieren

Prof. Dr. Djordje Nikolic macht unterschiedliche Vorschläge zur Gestaltung der Finanzierung ambulant erbrachter Leistungen im Krankenhaus. Dabei gibt er sich keine Denkverbote und versucht Lösungswege vorzuschlagen, die die Politik in die Verantwortung nehmen sollen und für Krankenhäuser die nötigen Freiräume schaffen.

Dr. Djordje Nikolic
Prof. Dr. med. Djordje Nikolic, Geschäftsführer consus clinicmanagement. – © consus

Die Zahlen müssten eigentlich jeden Kommunalpolitiker und jede Kommunalpolitikerin erschaudern lassen: Mehr als ein Drittel der Hausärzte und Hausärztinnen in Deutschland ist älter als 60 Jahre, 15,5 Prozent sogar über 65. Bei der Fachärzteschaft sieht es nicht viel besser aus. Wenn diese Medizinerinnen und Mediziner altersbedingt keine Patientinnen und Patienten mehr behandeln, wird sich die Versorgungslandschaft in Deutschland radikal ändern, ja ändern müssen. Denn der Nachwuchs, der in den kommenden Jahren die Universitäten verlässt, wird die Lücke kaum füllen können. Die Entwicklung verschärft sich, weil der demografiebedingte Rückgang der Zahl der Niedergelassenen auf eine ältere und damit wahrscheinlich morbidere Bevölkerung trifft. Wohin werden sich diese Personen wenden, wenn bisher für selbstverständlich erachtete ambulante Strukturen wegbrechen?

Krankenhäuser werden einen erheblichen Teil der ambulanten Versorgung tragen

Die Antwort ist klar: Sie werden das nächstgelegene Krankenhaus aufsuchen, egal, ob sich dieses zuständig fühlt oder die rechtlichen Rahmenbedingungen dieses überhaupt vorsehen. Krankenhäuser werden künftig einen erheblichen Teil der ambulanten Versorgung tragen. Dazu kommt ein weiterer Trend: Bisher stationäre Leistungen werden in wachsendem Maß ambulant zu erbringen sein. Das IGES-Gutachten vom 1. April 2022 listet 2.476 bisher stationär erbrachte Leistungen auf, die künftig ambulant erfolgen sollen. Angesichts der prekären Finanzlage der Gesetzlichen Krankenversicherung mit Milliardendefiziten wird die Politik egal welcher Couleur genau hier verstärkt nach Sparpotenzial suchen, und vermutlich auch finden.

Es ist also nicht nur so, dass demografiebedingt vielerorts mehr ambulante Patientinnen und Patienten in die Krankenhäuser strömen, sondern dass zugleich stationäre Fälle wegbrechen. Damit wird die ambulante Erlössicherung für Krankenhäuser zur Überlebensfrage, Kenntnisse über den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) werden so wichtig wie bisher ein ausgefeiltes Medizincontrolling zur Sicherung von DRG-Erlösen. Zugleich müssen Krankenhäuser lernen, mit den kostengünstigeren Strukturen des ambulanten Sektors zu arbeiten. Der Aufbau von AOP-Zentren wird zur betriebswirtschaftlichen Pflicht. Das muss nicht immer Neubau bedeuten, sondern kann auch heißen, bestehende Strukturen baulich, v.a. aber organisatorisch, anzupassen.

Das ambulante Vergütungssystem braucht eine Neuaufstellung

Die Politik ist überdies gefordert, das ambulante Vergütungssystem grundlegend neu aufzustellen und v.a. Klarheit zu schaffen. Aktuell weiß niemand, ob nun der AOP-Katalog erweitert wird oder ob Hybrid-DRGs kommen oder beides. Hybrid-DRGs könnten auch als Übergangsinstrument fungieren, um im Sinne des IGES-Gutachtens Krankenhäusern einen finanziellen Anreiz zu geben, bisher stationär erbrachte Leistungen zu ambulantisieren und dafür die nötigen strukturellen und architektonischen Umbauten vorzunehmen. Damit könnten Krankenhäuser ambulante Strukturen aufbauen, zugleich könnten aber auch bisher in den Kassenärztlichen Vereinigungen verankerte Strukturen Aufgaben übernehmen, die bisher in den Krankenhäusern angesiedelt waren, je nachdem welche Strukturen vor Ort besser funktionieren. Gesunder Wettbewerb hat noch selten geschadet.

Das Verschmelzen des Krankenhauses mit vertragsärztlichen Strukturen ist ein wichtiger Schritt hin zu einer sektorenübergreifenden Versorgung. Hier schlummern enorme Effizienzreserven. Aber angesichts der demografischen und haushaltspolitischen Herausforderungen in einer unsicheren Zukunft reichen Hybrid-DRG nicht aus, um die Versorgung dauerhaft personell und finanziell zu sichern. Nötig ist endlich ein wirklich umfassend sektorenübergreifendes Vergütungssystem, das vor Ort den Aufbau regionaler Versorgungsstrukturen ermöglicht.  

Sicher, das ist alles leichter gesagt als getan. Bisher laufen die Verhandlungen völlig getrennt. Krankenhäuser verhandeln mit den Krankenkassen ihr Budget. Die Vertragsärzte – dazu gehören auch Medizinische Versorgungszentren (MVZ) mit Kassensitzen – rechnen über die KVen ab. Dazu kommt eine neue Entwicklung, die allerdings in der Diskussion bisher noch kaum vorkommt: Rein digitale Anbieter von Telemedizin werden ebenfalls direkt von den Krankenkassen vergütet. Wenn die Politik ernsthaft eine sektorenübergreifende Versorgung will, dann muss sie die sektorengetrennten Vergütungstöpfe zusammenführen. Damit stellt sich aber die Systemfrage der gegenwärtigen Selbstverwaltungsstrukturen und ihrer etablierten Institutionen, insbesondere der KVen. Insgesamt stellt sich die Frage – wenn man zukunftsgerichtet nachdenkt und nicht in Besitzstands-Dimensionen – wie die Zukunft von KBV und DKG als Interessensvertretungen aussehen soll. Teil der Lösung wird dieses Nebeneinander vermutlich nie werden, da sie eher anachronistisch erscheinen und Bremskraft anmuten.

Ambulante Versorgungskonzepte braucht Gestaltungsfreiräume

Sinnvoll ist bei all diesen komplexen Fragen, Freiräume für Entscheidungen vor Ort zu lassen. Dort, wo es ausreichend niedergelassene Ärztinnen und Ärzte gibt, besteht kein Zwang, ambulante Leistungen ins Krankenhaus zu verlagern. Das gilt v.a. in Ballungszentren. Dort finden sich oftmals zugleich viele Krankenhausstandorte, die für eine gute Versorgung vielleicht nicht notwendig sind, möglicherweise sogar hinderlich. Hier ist es denkbar, dass die Krankenhausplanung kleinere Klinikstandorte hinterfragt und mit bestehenden KV-Strukturen zusammenzuführt, die sich über EBM und Hybrid-DRG oder andere AOP-Entgelte finanzieren.

In ländlichen, strukturschwächeren Regionen ist vielleicht das Gegenteil der Fall. Hier gilt es, Krankenhäuser als eine Art Backup zu erhalten, selbst wenn sie mit Blick auf den eigentlich rein stationären Bedarf nicht ausreichend Fälle verzeichnen, um verlustfrei arbeiten zu können. Vorhaltepauschalen erscheinen hier sinnvoll. Da aber auch hier der ambulante Versorgungsbedarf mitzudenken ist, weil klassisch vertragsärztliche Strukturen verschwinden, reichen die bisherigen Sicherstellungszuschläge nicht aus, schließlich werden diese nur als Zusatz auf erbrachte stationäre Leistungen gezahlt.

Krankenhäuser dürfen mit ambulanter Versorgung keine Verluste schreiben

Letztlich muss die Politik sicherstellen, dass Krankenhäuser mit der Übernahme ambulanter Verantwortung keine Verluste schreiben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Kliniken mit höheren Kostenstrukturen arbeiten als freiberuflich tätige niedergelassene Ärztinnen und Ärzte. Denkbar wäre, dass Krankenhäuser, die MVZ aufbauen und entsprechend Arztsitze zur Sicherung der Versorgung übernehmen, von den Krankenkassen gesondert vergütet werden. Sinnvoll ist, wenn dies Teil des Krankenhausbudgets wäre. Der Geldfluss der Krankenkassen an die KVen könnte entsprechend reduziert werden, eine Bereinigung des KV-Budgets. Dies könnte schrittweise der Weg hin zu sektorenunabhängigen Regionalbudgets sein. Hier sollte die Politik auf Gestaltungsfreiräume für regionale Versorgungslösungen setzen.

Zugegeben, mancher dieser Vorschläge mag auf Vertreter etablierter Institutionen im Gesundheitswesen provozierend wirken. Aber angesichts der Demografie und der geopolitisch unsicheren Weltlage darf es keine Denkverbote geben.

Kontakt zum Autor

Prof. Dr. Djordje Nikolic, Geschäftsführer consus clinicmanagement, d.nikolic@consus-clinicmanagement.de