KKC
Die Zwillinge Lulu und Nana, die vor Wochen in China auf die Welt kamen, lösten einen „Super-GAU der Wissenschaft“ aus, wie es der Vorsitzende des Deutschen Ethikrates Peter Dabrock formulierte.
Der Biophysiker He Jiankul hatte die Mädchen wegen ihres HIV-positiven Vaters ohne Wissen seiner Universität genchirurgisch gegen zukünftige HIV-Infektionen immunisiert. Dazu hatte er mit einer Genveränderung die molekulare Eintrittspforte entfernt, durch die die HI-Viren Menschen infizieren können. Der Eingriff erfolgte mit der Genschere CRISPR-Cas9 im Rahmen einer künstlichen Befruchtung bei der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle. Die HIV-Immunität wirkt sich durch die Vererbung unveränderlich auf alle Nachkommen aus. He Jiankul erhielt Berufsverbot, wurde fristlos entlassen und wegen nicht genehmigter Medizinforschung zu einer Haft von drei Jahren und einer Geldstrafe verurteilt.
Warum aber löste sein Eingriff so eine weltweite Empörung aus?
Abgesehen von der Kritik am Vorgehen und den noch unbefriedigenden Ergebnissen fand ein Tabubruch statt. In Deutschland sind Eingriffe in die Keimbahn wie in vielen anderen Ländern verboten. Die weltweite Forschergemeinde war sich einig, wegen der noch unbekannten Risiken und Nebenwirkungen keine Genmanipulationen an der menschlichen Keimbahn durchzuführen. Sie befürchten die Schaffung von hochgezüchteten Designerbabys.
Die Genchirurgie
Im Jahr 2012 eröffnete Prof. Dr. Emmanuelle Charpentier eine neue Welt der Medizin: die Genchirurgie. Wie funktioniert nun diese Genschere? Ein Bakterium speichert bei einem Virusbefall ein Stück von der Viren-DNA in seiner eigenen DNA. Wird es oder eines seiner Nachkommen erneut von einem Virus angegriffen, zerschneidet sein Enzym Cas9 die Virus-DNA an der erkannten Stelle. Mit der biologischen Schere kann man also fremde DNA-Stränge an genau definierten Positionen zerschneiden. Bei der Reparatur des Doppelstrangbruches wird entweder ein Gen gezielt zerstört (Gen-Knockout), ein neues Gen an einer spezifischen Stelle im Genom eingeführt (Gen-Knockin) oder eine punktuelle Mutation in einem Gen korrigiert.
Genome Editing
Das Genome Editing genannte Verfahren wird seit Jahren für gezielte Veränderungen des Genoms von Mikroorganismen, Pflanzen, Tieren und beim Menschen in der Gentherapie eingesetzt. Das Erbgut von malariaübertragenden Insekten ließe sich so verändern, dass sie als Zwischenwirt ausfallen. Forscher wollen Mammut-DNA in Elefantenzellen einschleusen, um die ausgestorbene Art wiederauferstehen zu lassen. Jedoch wurde bei der Reparatur des Doppelstrangbruches oft das unerwünschte Einfügen oder der Verlust von DNA-Bausteinen beobachtet, was Tumore auslösen kann. Base Editing spaltet den DNA-Strang wie mit einem Skalpell ohne Durchtrennung auf und wandelt am Zielort eine Base chemisch präzise in eine andere um. So können in der Zelltherapie Punktmutationen sicherer repariert werden, die ursächlich für Krankheiten wie AIDS sind. Ein chinesisches Team veröffentlichte 2018 eine weitere Anwendung des Genskalpells. Durch diese Genomeingriffe erstellten sie an Mäusen und Affen erfolgreich Modelle für menschliche Krankheiten und untersuchten die Wirkungen jeder Mutation, um therapeutische Strategien zu entwickeln.
Manfred Kindler, KKC-Vorsitzender, Kontakt: m.kindler@kkc.info