Entwicklung neuer Antibiotika Darf die Forschung eine Frage des Geldes sein?

Weltweit sterben jährlich rund 700.000 Menschen an einer Infektion mit multiresistenten Keimen – Tendenz steigend. Auch in Europa ist die Zahl in den letzten zehn Jahren trotz des hohen medizinischen Standards von 25.000 auf 33.000 gestiegen. Warum verliert die Pharmaindustrie trotz allem das Interesse an der Entwicklung neuer Antibiotika?Viele Pharmaunternehmen haben die Forschung an neuen Antibiotika gestoppt.Laut den Vereinten Nationen könnten bis 2050 jährlich zehn Millionen Menschen durch resistente Keime sterben – mehr als zum jetzigen Zeitpunkt an Krebs. Damit stellen Antibiotikaresistenzen nicht nur eine wachsende Bedrohung für die Weltbevölkerung dar, sondern werden auch zu einer zunehmenden Belastung für das Gesundheitssystem und die Wirtschaftsleistung. Das Robert Koch-Institut in Berlin hat hierzu im Juli 2019 zwei Bulletins veröffentlicht, die den dringenden Bedarf an neuen Präparaten unterstreichen. Sinkendes Interesse der UnternehmenWährend in den 80er- und 90er-Jahren noch nahezu alle großen Pharmakonzerne in die Antibiotikaforschung investierten, sind aktuell nur noch vier der Top-25-Pharmafirmen weltweit auf diesem Gebiet aktiv: Merck & Co. (MSD, US), GlaxoSmithKline (GSK, UK), Roches Tochterfirma Genentech (Schweiz) und Otsuka (Japan). Das weltgrößte pharmazeutische Unternehmen Johnson & Johnson (J&J) äußerte auf Anfrage der Tagesschau, „keine weiteren Antibiotika in der Entwicklung“ zu haben. Novartis und Sanofi haben sich beide innerhalb des vergangenen Jahres aus der Entwicklung antibiotischer Arzneimittel zurückgezogen, AstraZeneca bereits 2016. Andere Unternehmen wie Bayer verabschiedeten sich schon vor rund zehn Jahren aus dem Feld. Laut einem Bericht der ARD haben Pfizer und Allergan ebenfalls die Erforschung neuer antibiotischer Wirkstoffe eingestellt. Neben den Großkonzernen sind auch kleine und mittelständische Unternehmen in der Antibiotikaforschung tätig, jedoch fehlen diesen oft die entsprechenden Mittel, da sich Investoren zunehmend zurückziehen. Die Entwicklungskosten für ein neues Präparat belaufen sich auf etwa 100 Millionen Euro. Diese Kosten können Unternehmen in vielen Fällen nur stemmen, wenn sie andere lukrative Medikamente in ihrem Portfolio haben. Wirtschaftliche Ertragsmöglichkeiten zu geringDieser Trend ist v.a. auf finanzielle Gründe und den Verlust von Innovationskraft zurückführen. Neue Antiinfektiva liefern vergleichsweise geringe wirtschaftliche Erträge. Der zu erwartende Nettobarwert fällt deutlich niedriger aus als für andere Arzneien, beispielsweise zur Behandlung von Krebs oder chronischen Erkrankungen. Dies gründet v.a. auf dem sparsamen und im Idealfall nur kurzweiligen Einsatz des Mittels pro Patienten. Der übermäßige Einsatz – v.a. auch in der Tierhaltung – hat die Resistenzentwicklung der Bakterien gefördert. Zwei besonders dramatische Beispiele für multiresistente Erreger sind Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus (MRSA) und Tuberkulose. Bei beiden wirken viele der gängigen Antibiotika nicht mehr. Die meisten bakteriellen Infektionen lassen sich heute noch mit Präparaten aus dem 20. Jahrhundert behandeln, weshalb neue Wirkstoffe in erster Linie als Reserve dienen, falls die herkömmlichen nicht mehr wirken. Jedoch kann es vorkommen, dass bereits kurz nach dem Markteintritt eines Mittels Resistenzen auftreten, wodurch das Medikament seinen klinischen und kommerziellen Nutzen verliert. In der Folge investieren Pharmaunternehmen nur einen Bruchteil ihres Gesamtbudgets für die Erforschung und Entwicklung neuer Arzneimittel in Antibiotika. Am Beispiel GSK in Zahlen: In den vergangenen zehn Jahren investierte der Konzern nur eine von 43 Milliarden Dollar ihres Forschungsbudgets in diese Sparte – demgegenüber stand ein Ertrag von circa einer Milliarde. Oft bleiben vielversprechende Wirkstoffstudien aus Kostengründen auf der Strecke oder werden abgebrochen. Hinzu kommt, dass es sich bei der Mehrheit der Produkte auf dem Markt um Generika handelt. So erhalten in Deutschland 97 Prozent der ambulant behandelten und 92 Prozent der stationären Patienten generische Mittel. Nur wenig aktiv ForschendeAntibiotika zählen zu den größten medizinischen Errungenschaften, dennoch hat das Interesse an der Invention neuer Wirkstoffe stark nachgelassen. Weltweit beschäftigen sich nur etwa 500 Wissenschaftler in 50 akademischen Institutionen mit der Grundlagen- und präklinischen Forschung auf diesem Gebiet. Im Vergleich dazu gibt es allein in Deutschland rund 800 Forscher, die sich mit den verschiedenen Krebserkrankungen auseinandersetzen. Hingegen ließe sich allein durch die Einrichtung eines globalen Forschungsfonds über 200 Millionen US-Dollar die Zahl der auf Antibiotika spezialisierten Wissenschaftler von 500 auf etwa 750 verstärken. Fünf neue Antibiotika bis 2025Die meisten Antiinfektiva kamen zwischen 1980 und 1999 auf den Markt. Über 80 Präparate gegen verschiedene Bakterienarten wurden bisher insgesamt entwickelt. Derzeit sind 42 neue Produkte mit dem Potenzial, schwere bakterielle Infektionen zu heilen, in der klinischen Entwicklung. Nur vier dieser medikamentösen Applikationen sind zugelassen, elf sind in Phase drei, zwölf in Phase zwei und 15 in Phase eins. Gesucht werden besonders Wirkungsmechanismen gegen gramnegative Bakterien, da bei diesen verstärkt Multiresistenzen auftreten. Die Global Antibiotic Research and Development Partnership (GARDP) hat das Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2025 fünf neue Antibiotika gegen die von der World Health Organisation (WHO) priorisierten bakteriellen Pathogene zu entwickeln – ein ambitioniertes Ziel angesichts der Tatsache, dass der Entwicklungszyklus eines solchen Produktes durchschnittlich zwölf Jahre dauert und statistisch nur jedes fünfte Präparat, welches die Testphase am Menschen erreicht, auch zugelassen wird. Setzen von AnreizenEs braucht ein neues System, das die Entwicklung von Antiinfektiva wirtschaftlich attraktiver macht und diese von einer reinen Profitorientierung loslöst. Um dem aktuellen Trend entgegenzuwirken, ist es wichtig, Talente zu unterstützten und zu motivieren, sich in diesem Forschungsfeld zu engagieren. Die Regierung muss im Kampf gegen multiresistente Pathogene mehr Anreize für die Entwicklung antibiotischer Wirkstoffe setzen. Im Jahr 2018 hat die europäische Innovative Medicines Initiative (IMI) bereits einige Vorschläge zur Förderung erarbeitet, wie z.B. die Einführung eines Market Entry Rewards in Höhe von einer Milliarde Dollar pro Antibiotikum. Es braucht ein neues System, das die Entwicklung von Antiinfektiva wirtschaftlich attraktiver macht und diese von einer reinen Profitorientierung loslöst. Johannes Suciu

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