Lesetipp Chronische Krankheiten und Behinderungen in westlichen Gesellschaften

Chronische Krankheiten und späterworbene Behinderungen verändern das Leben der Betroffenen nachhaltig. Bernhard Richarz wirft im Buch ,,Körperlicher Umbruch“ den Blick auf das Zusammenspiel von Körper, Selbst und Alterität im Kontext von Persönlichkeitsentwicklung.

In ,,Körperlicher Umbruch“ zeigt Bernhard Richarz auf, wie chronische Krankheiten und Behinderungen die Körperlichkeit der Betroffenen verändert. – © Transcript Verlag

Menschen können auf unterschiedlichen Wegen chronische Krankheiten und Behinderungen bekommen. Sei es durch den bloßen Alterungsprozess oder durch einen schicksalshaften Unfall. Durch die Entstehung einer Behinderung oder chronischen Erkrankung verändert sich die eigene Beziehung zum Körper, aber auch zum sozialen Umfeld. Richarz bezeichnet diesen Vorgang als körperlichen Umbruch. Anhand zwölf Erfahrungsberichten von verschiedenen Menschen mit chronischen Krankheiten und Behinderungen zeigt der Autor das Spannungsfeld aus körperlichem Umbruch, Psyche und sozialer Umwelt auf. Welche Folgen hat ein körperlicher Umbruch? Welche Auswirkungen hat ein Umbruch auf die eigene Identität? Was bedeutet der Verlust der gewohnten Körperlichkeit im Kontext des sozialen Systems westlicher Gesellschaften? Die gewonnenen Erkenntnisse auf die Fragen können insbesondere für Personen im Bereich der Rehabilitationswissenschaften, der narrativen Medizin, der Identitätsforschung und den Disability Studies von Nutzen sein.

Identitätsarbeit nach dem körperlichen Umbruch

Mit dem Erleben einer chronischen Erkrankung oder spät erworbenen Behinderung geht der Verlust der gewohnten Körperlichkeit einher. Das hat für die Betroffenen unmittelbare Folgen. Nach einem körperlichen Umbruch findet bei ihnen Identitätsarbeit statt. Die bisherige Identität einschließlich der Körperidentität wird in Frage gestellt. Betroffene nehmen ihren Körper durch die erworbene chronische Erkrankung oder Behinderung anders wahr: Die gewohnte Körperlichkeit hat sich verändert. Einige von ihnen nehmen ihn vielleicht zum ersten Mal überhaupt spürbar wahr. Auch die eigene Vergänglichkeit rückt ins Zentrum der Gedanken. Auf diverse Ressourcen wird der erneuten Identitätsfindung nach einem körperlichen Umbruch zurückgegriffen. Das Erzählen über und Handeln mit dem umbrochenen Körper müssen neu gelernt werden.

Umbrochene Körper im sozialen System

Im sozialen System werden Menschen in behindert und nicht-behindert unterteilt. Dabei unterliegen alle Mitglieder des Systems den gleichen Anforderungen und teilen die gleichen kulturellen Ideale. Menschen, die eine chronische Erkrankung oder Behinderung erst im Verlauf ihres Lebens bekommen haben, lernen das System neu kennen und nehmen sich in ihrer Alterität wahr. Betroffene sollten im Kontext der Identitätsbildung eine neue Authentizität erfahren zu der neben der Kohärenz auch die Vitalität, Tiefe und Reife gehört. So erreichen sie eine grundlegende Voraussetzung für ein gelingendes Leben.

Körperlicher Umbruch

Bernhard Richarz (2023) Körperlicher Umbruch. Bielefeld: Transcript Verlag.

Das Buch ist u.a. über den Holzmann-Medienshop erhältlich.