Interviewserie zur Krankenhausreform Bund-Länder-Zusammenarbeit: Leistungserbringer und Politik im Gespräch

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Reformziele des Bundes, Planungshoheit der Länder: Diese Konstellation birgt Sprengstoff. Aus Berlin kommen Ansätze zu Versorgungsleveln und Leistungsgruppen, über die eine Standardisierung als Grundlage der künftigen Finanzierung erreicht werden soll. Wird so die rote Linie zur Planungshoheit der Länder überschritten? Und welche Konsequenzen hat das für die Leistungserbringer? HCM im Gespräch mit Klaus Holetschek, dem Bayerischen Staatsminister für Gesundheit und Pflege, und Nils Dehne, Geschäftsführer der Allianz Kommunaler Großkrankenhäuser (AKG) e.V.

Dehne und Holetschek
Nils Dehne (links) und Klaus Holetschek (rechts) über die Bund-Länder-Zusammenarbeit in der Neuausrichtung der Krankenhausstruktur. – © AKG/Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege

Bund und Länder sind sich zwar einig, dass die Krankenhausstruktur und -finanzierung eine Neujustierung braucht, wie diese gestaltet werden soll und v.a. wer dabei was entscheiden darf, sorgt für heftige Diskussionen und sogar Rechtsgutachten. Ein solches haben zuletzt Bayern, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein angestrengt. Mit dem Ergebnis, dass die Vorschläge der Regierungskommission für eine Krankenhausreform als nicht verfassungsgemäß bezeichnet wurden. Konkret geht es dabei um die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern sowie das Primat der Krankenhausplanung der Länder. Demzufolge bedeute das Reformkonzept einen erheblichen Eingriff in die Planungshoheit der Länder. Darüber und weitere Fragen der künftigen Bund-Länder-Zusammenarbeit in der Neugestaltung der Krankenhausstruktur und -finanzierung sowie der Folgen für Leistungserbringer sprachen Bianca Flachenecker und Michael Reiter für Health&Care Management (HCM) mit

  • Nils Dehne, Geschäftsführer der Allianz Kommunaler Großkrankenhäuser e.V. (AKG) und
  • Klaus Holetschek, Staatsminister für Gesundheit und Pflege in Bayern.

Kann denn die Krankenhausreform in der aktuellen Legislaturperiode Wirklichkeit werden – angesichts der diversen Kreise, die wir ziehen?

Holetschek: Wir befinden uns ja mitten in einem Diskussionsprozess, der sich durch die Verteilung der Kompetenzen in der dualen Krankenhausfinanzierung schwierig gestaltet. Dass man sich die Schnittstellen zwischen Ländern und Bund sehr genau anschauen muss, hat das verfassungsrechtliche Gutachten gezeigt. Ich denke, die Länder sind sich einig, dass wir eine Reform brauchen – die aber auch rechtlich haltbar sein und Perspektiven bieten muss. Klar ist: Die Krankenhäuser brauchen eine andere Finanzierung. Vorhaltekosten sind hier ein Thema. Das intensive Ringen um eine gemeinsame Lösung findet derzeit statt.

Dehne: Ich glaube auch, dass wir auf jeden Fall zu einer Reform kommen werden, weil sowohl Bund und Länder als auch die Krankenhäuser selbst händeringend eine neue Perspektive brauchen. Ob das der große Wurf wird, werden die weiteren Gespräche zeigen müssen.

Wo liegen denn die Grenzen, die nicht überschritten werden sollen?

Holetschek: Unser Gutachten von Professor Wollenschläger hat deutlich gezeigt, wo die roten Linien sind. Als Jurist sage ich, das klare Primat der Krankenhausplanung liegt bei den Ländern. Jedes Land muss entscheiden können, wo welche Versorgung stattfindet – so lauten die Kernaussagen dieses Gutachtens. Selbst eine Zustimmung der Länder im Bundesrat würde nichts an der mangelnden Bundeskompetenz ändern. Die Krankenhausbetriebskostenfinanzierung darf der Bund nicht dazu nutzen, um tatsächlich in Strukturen einzugreifen. Eine reine Finanzreform bezogen auf die Betriebskosten könnte der Bund natürlich sofort durchführen, etwa mit der Einführung von Vorhaltekosten. Rein theoretisch ließe sich für eine verfassungskonforme Reform auch das Grundgesetz ändern, was aber in dem Fall illusorisch ist. Selbst eine Zustimmung der Länder im Bundesrat würde die mangelnde Bundeskompetenz nicht auflösen. Die Krankenhausfinanzierung darf nicht dazu genutzt werden, um tatsächlich Strukturveränderungen zu machen.

Der größte Eingriff in die Planungshoheit wäre wohl das System der Level in der Verknüpfung mit den Leistungsgruppen. Wer definiert die Mindeststrukturvoraussetzungen, um eine gleiche Qualität zu erzielen? Und wo sind dann Ausnahmen möglich? Wie kann ich es rechtfertigen, um ein Beispiel zu nennen, dass für die Erbringung endoprothetischer Leistungen die gleichzeitige Vorhaltung einer Geburtshilfe und einer kardiologischen Abteilung notwendig sein soll?

Dehne: Das Gutachten transportiert ja nichts überraschend Neues. Die Klarheit wird ein Stück weit umschifft mit den klassischen unbestimmten Rechtsbegriffen. Ich appelliere an beide Seiten, ein System zu schaffen, das in sich stimmig und schlüssig ist, Anreize schafft und sinnvolle Strukturen hervorbringt. Bauchschmerzen bereitet es mir, wenn wir zu jedem Detail gleich auch Ausnahmen finden, um zwischen Bund und Ländern überhaupt eine Einigung zu erzielen. Wir dürfen nicht vergessen, dass es um ein Finanzierungssystem geht, das den Krankenhäusern eine neue Perspektive abseits der Fallzahlen bietet. Dafür brauchen wir neue Kriterien: entweder einen Bezug zur Population oder zu den vorhandenen Strukturen. Nur so können wir festlegen, was eigentlich finanziert werden soll. Den Populationsbezug wünschen sich die Krankenkassen; die Politik scheint sich bei der Feststellung des Versorgungsbedarfs aber bisher eher heraushalten zu wollen. Wir brauchen aber gemeinsame Standards, weil sonst die Finanzierung ins Leere läuft.

„Wenn wir alle eine Reform wollen, müssen wir uns jetzt von allen Seiten auf sie zubewegen.“

Klaus Holetschek

Holetschek: Wenn wir alle eine Reform wollen, müssen wir uns jetzt von allen Seiten auf sie zubewegen und einen für alle geeigneten Rechtsrahmen schaffen – auch mit Blick auf die besonderen Anforderungen von Flächenstaaten. Hamburg als Stadtstaat hat ganz andere Vorstellungen; NRW steckt mitten in einer eigenen Reform, und auch in Niedersachsen gibt es Reformansätze. Ich möchte noch zu bedenken geben: In der Pandemie waren wir froh über die vielen Krankenhausstandorte, die jetzt vom Bund in Frage gestellt werden. Und eine Umverteilung des Pflegepersonals mag vielleicht in den Großstädten in gewissem Rahmen noch funktionieren, aber in ländlichen Regionen wird es da sicher anders aussehen. Auch ohne frisches Geld für den Transformationsprozess wird es schwierig.

Finanzierung beim Bund, Planung bei den Ländern – wo verläuft die rote Linie?

Dehne: Wir haben bis jetzt ein System mit relativ guter Einzelfallgerechtigkeit durch die DRGs. Die Herausforderung liegt nun darin, eine strukturelle Gerechtigkeit hinzubekommen – das geht nur mit einheitlichen Anforderungen. Sehen wir uns die Leistungsgruppen an: Weder die Schweiz noch NRW kennen die Notfall- oder Intensivversorgung als eigene Leistungsgruppen; sie sind implizit in den Leistungsgruppen beinhaltet. Das heißt, die besonders vorhalteintensiven „Feuerwehr-Leistungen“ versickern in den Leistungsgruppen mit elektiven Maßnahmen. Es muss uns gelingen, Strukturen und Leistungsbeschreibungen für diese Vorhalteleistungen klar zu definieren. Nur dann kommen wir zu einem besseren Vergütungssystem. Andernfalls werden gerade diese Leistungen unattraktiv.

Holetschek: Viele Fragen sind offen: Orientieren wir uns bei der Finanzierung an den bestehenden DRGs und setzen wir Teile daraus für die Vorhaltefinanzierung ein? Wie soll das System spezifisch auf einzelne Regionen und einzelne Schwerpunkte heruntergebrochen werden? Sehen wir uns die angedachten Level-1i-Häuser an, die durch Tagespauschalen finanziert werden sollen: ambulant und stationär soll zu gleicher Bezahlung stattfinden, also über Hybrid-DRGs? Wie steht es um die Finanzierung der Niedergelassenen, der Rettungsketten? Wir sind bereit, Mindeststrukturvoraussetzungen zu definieren für die einzelnen Leistungsgruppen. Nötig sind aber auch hier Augenmaß und eine gewisse Flexibilität.

Dehne: Wir haben in den Diskurs ein Punktemodell (Scoring-System) eingebracht. Mit solchen Instrumentarien lässt sich die Verteilung der Finanzierung sinnvoll steuern, ohne dass für jeden Sonderfall eine Ausnahme definiert werden muss.

Wie sieht es denn bei den Investitionskosten aus? Wie kann man die Krankenhäuser finanziell in die Lage versetzen, diese Veränderungen zu realisieren?

Holetschek: Die Länder werden ihre Investitionskosten steigern müssen. Bayern tut hier bereits mehr als manche anderen. Wir stellen zudem Geld bereit für Härtefallhilfen mit Blick auf die aktuellen Kostensteigerungen bei den Betriebskosten. Es gibt Geld für die Reha und für ambulante Pflegedienste – und ab nächstem Jahr für den Strukturwandel kleinerer Krankenhäuser. Beim Bund sind Gelder etwa im Energiefonds blockiert. Klar ist: Wir werden für die Transformation um die 50 Milliarden Euro in den nächsten fünf bis zehn Jahren brauchen. Das BMG-Prinzip „Über Geld reden wir erst am Ende der Reform“ wird nicht funktionieren. Für Pflegeversicherung, GKV und Transformationskosten muss der Finanzminister mit an Bord.

„Wir brauchen so schnell wie möglich ein Zielbild, damit jeder weiß, worauf er sich eigentlich vorbereiten muss.“

Nils Dehne

Dehne: Wir haben ja viele Baustellen in unserer Gesellschaft, die Geld erfordern. Kurzfristige Geldspritzen werden unsere Probleme im Gesundheitswesen nur verschieben. Denn mit dem heutigen System bleiben alle Krankenhäuser motiviert, möglichst viele teure Fälle durchzuführen – und rüsten sich dafür immer mit den neusten medizinischen Geräten. Wahrscheinlich ist der Transformationsprozess viel zu kurz angesetzt. In jedem Falle brauchen wir so schnell wie möglich ein Zielbild, damit jeder weiß, worauf er sich eigentlich vorbereiten muss. Dieses Zielbild muss eine Team-Aufstellung ermöglichen, in der nicht mehr jeder selbst versucht, selbst das Tor zu schießen, sondern Zusammenarbeit gefördert wird.

Holetschek: Das System ist ungesund, weil das Abwickeln von immer mehr Fällen Vorteile bringt. Wir haben im bayerischen Kabinett eine Initiative gegen Investoren-betriebene MVZ beschlossen, denn auch das ist ein Thema der Ökonomisierung. Wir müssen an Strukturen arbeiten und dies den Bürgern gut vermitteln, die Menschen abholen. Wenn das nicht gelingt, kann es Schwierigkeiten geben, wie etwa das Beispiel Weilheim-Schongau aktuell veranschaulicht. Letztlich müssen wir die Sektoren verbinden.

Dehne: Müssten wir dann nicht viel tiefer einsteigen in eine gesellschaftliche Debatte über die Frage, welche Rolle welches Krankenhaus hat? Krankenhaus ist heute nicht mehr gleich Krankenhaus, genauso wie wir zwischen Hausarzt und Facharzt unterscheiden. Diese Debatte kommt mir zu kurz. Anhand der Level sollten wir darüber zu diskutieren, was für Arten von Krankenhäusern wir eigentlich haben wollen.

Was halten Sie von der BMG-Aussage, die Länder könnten ja weiter frei planen, könnten müssten dann aber auf die Versorgungsfinanzierung durch den Bund verzichten?

Holetschek: Der Bund darf nicht über die Finanzierung die Strukturen steuern. Diese „Revolution“ ist schon gescheitert, bevor sie in Gang gesetzt ist. Und die eingesetzten Experten scheinen mir inzwischen tief verunsichert.

Sollten wir über eine Ausdehnung des Solidaritätsprinzips der Krankenversicherung nachdenken?

Holetschek: Das bringt keine Verbesserung, weil sich das System mit GKV und PKV bewährt hat – mit Innovationen, Wettbewerb und einer Querfinanzierung der Ärzte in ländlichen Raum.

Dehne: Es würde unsere Versorgungsprobleme nicht lösen. Sie liegen nicht allein bei der Finanzierung – wir haben nicht ausreichend Menschen, die in der Fläche, in der Qualität, und in der Detailtiefe die bisherige Versorgung aufrechterhalten können. Wir müssen die Strukturen anpacken!

Holetschek: Wir müssen beim Personal weg von der Mangelverwaltung und hin zur Neugestaltung attraktiver Arbeitsbedingungen, etwa dank Entbürokratisierung. Die zentrale Frage lautet: Wo kommen die Menschen her, die künftig an den Betten stehen?

„Wir müssen ein neues Verständnis von Versorgung schaffen.“

Nils Dehne

Dehne: Zur Wahrheit gehört auch, dass die Attraktivität unserer Arbeitsplätze nicht eine Frage des Geldes oder der Ausstattung ist, sondern auch eine der Versorgungsprozesse. Personalvorgaben helfen da nicht weiter. Wir müssen ein neues Verständnis von Versorgung schaffen. Nicht alle Ärzte oder Pflegekräfte sind bereit, im Nachtdienst zu arbeiten. Die einen bevorzugen eine technikorientierte bzw. Hochleistungsmedizin auf der Intensivstation. Die anderen möchten eine Basisversorgung sicherstellen. Diese Erwartungen bilden unsere Leistungserbringerstrukturen heutzutage nicht ab – weil der Fokus bei allen auf den gleichen wenigen attraktiven Fällen liegt.

Sehen Sie denn einen relevanten Zukunftsbeitrag bei neuen Berufsbildern wie Physician Assistants und Advanced Practice Nurses?

Dehne: Unbedingt! Allerdings finden wir in den bestehenden Systemen mit ihren Hierarchien und Prozessen keine sinnvolle Verwendung. Hier benötigen wir eine Entwicklungsperspektive.

Holetschek: Über die Berufe hinweg müssen wir den Menschen die Chance geben, Privatleben und Beruf zu verbinden. Dafür braucht es von Seiten der Arbeitgeber zuverlässige Dienstpläne, die Burnout verhindern. Wir werden auch über bezahlbaren Wohnraum und gute Kinderbetreuungsmöglichkeiten sprechen müssen. Bei der Übertragung von Leistungen an die Pflege muss man die Ärzte an den Tisch holen. Da geht es um Substitution, Delegation, um Verantwortung und Haftungsfragen. Die Zufriedenheit der Teams ist künftig wichtiger als Hierarchien. Nur so haben die Häuser noch eine Chance, Fachkräfte zu gewinnen.

Dehne: Auch im Hinblick auf Vergütungsmechanismen und die Attraktivität des Arbeitsalltages werden wir stärker differenzieren müssen. Im Bereich der „Feuerwehrleistungen“ bzw. der Notfallversorgung wird es immer Schichtdienst geben müssen. Auf den Intensivstationen arbeiten Pflegekräften und Ärzte schon lange auf Augenhöhe zusammen. Diese unterschiedlichen Rollen werden derzeit jedoch nicht adäquat abgebildet. Das System der Zulagen, die die Tarifverträge hierfür vorsehen, spiegelt diese Differenzierung von Qualifikation und Einsatz bisher nicht ausreichend wider.

„Versorgung darf nicht zum Privileg der Metropolen werden.“

Klaus Holetschek

Was wünschen sie sich in der Bund-Länder-Zusammenarbeit konkret?

Holetschek: Ich wünsche mir tatsächlich, dass wir zu einer Einigung auf ein Finanzierungssystem als Rahmen dafür kommen, Versorgung patientenorientiert darzustellen und auch das Thema der ländlichen Räume mit abzubilden. So möchte ich auch gewachsene Strukturen wie etwa Telemedizin und Schlaganfallzentren nicht aufgeben, sondern eher ausbauen. Versorgung darf nicht zum Privileg der Metropolen werden.

Dehne: Ob in der Politik oder in der Versorgung vor Ort – wir sollten alle anerkennen, dass Veränderungen notwendig sind und dass sie uns einholen werden, wenn wir sie nicht selbst aktiv gestalten. Die bisherigen Auswirkungsanalysen verdeutlichen, dass unsere Strukturen der Veränderung bedürfen. Machen wir uns gemeinsam auf den Weg, versuchen wir es mit den vorliegenden Vorschlägen – mit etwas mehr Mut von allen Beteiligten.