Amerikanische Krankenhausvertreter in Deutschland „Auf einem guten Weg“

Vernetzen und voneinander lernen: Die Entscheiderfabrik bringt regelmäßig Expertinnen und Experten aus Deutschland und USA mit dem Ziel zusammen, gemeinsam digitalen Herausforderungen der Gesundheitsversorgung zu meistern. Bei einem Site Visit in Deutschland gab es neue Erkenntnisse. Krankenhausführung und digitale Transformation“: mit diesem branchenrelevanten Thema brachten die Entscheiderfabrik und ihre Akademie AHIME im Mai Vertreterinnen und Vertreter der Führungsebene zusammen. Eingeladen waren auch Partner aus kalifornischen Exzellenz-Krankenhäusern und vom College of Healthcare Information Management Executives (CHIME) – darunter zur Besichtigung unterschiedlicher Häuser in der Region. Gastgeber für die US-Delegation der Entscheiderfabrik waren u.a. (in chronologischer Folge) die Universitätsmedizin Mainzdie Vitos Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Bad Homburgdas St. Josefs-Hospital in Wiesbaden, die Klinik Viktoriastift/Landeskrankenhaus Andernach, Bad Kreuznach. Wie präsentierten sich die deutschen Leistungserbringer für den Blick über den Tellerrand, welche Eindrücke nahmen die Delegierten aus den USA mit zurück und welche zentralen Botschaften sind anleitend für Versorger hierzulande? HCM-Autor Michael Reiter stellt die Digitalprojekte, die als Diskussionsgrundlage dienten, vor und hat die Einschätzungen aus dem US-Management dazu eingefangen. Die Auseinandersetzung mit beiden Seiten zeigt Einrichtungen hierzulande, wo der gegenseitige Austausch gezielt weiterbringen kann. Site Visit der internationalen Entscheiderfabrik-Mitglieder bei der Vitos Klinik in Bad Homburg. © Reiter In Bad Homburg konzentrierten sich die Gespräche auf die strategischen Punkte Personal, Digitalisierung und Nachhaltigkeit. „Eine der aktuell größten Herausforderungen ist das Recruiting“, erklärte Konzerngeschäftsführer Reinhard Belling. Die stärkste „Baby-Boomer-Kohorte“ sei im Vergleich mit den USA der Jahrgang 1957; in Deutschland handele es sich um den Jahrgang 1964, der auch etwas später in Rente gehe als in Amerika. Diejenigen, die in das Arbeitsleben einsteigen, können die Zahl derjenigen, die in Rente gehen, nicht kompensieren, betonte der Vorsitzende der Vitos-Konzerngeschäftsführung; dieses Ungleichgewicht werde noch zunehmen. „Deshalb verstärkt Vitos seine Aktivitäten für seine Arbeitgebermarke und das Personal-Recruiting mit allen Mitteln. Die Personalentwicklung hat eine zentrale Bedeutung und mündet in zahlreiche unterschiedliche Personalentwicklungsaktivitäten.“ Die digitale Transformation bilde das zentrale Element der Konzernstrategie. Man ist davon überzeugt, mit digitalen Anwendungen die Behandlung zu verbessern, den Zugang niedrigschwelliger zu gestalten und mehr Angebote außerhalb des stationären Settings anbieten zu können (Home Treatment). Gleichzeitig ermögliche die Digitalisierung Entlastung bei Routinearbeiten. „Deutschlandweit ist es sicher bislangeinzigartig, dass vier große Psychiatrieträger aus drei Bundesländern gemeinsam eine Patientenplattform entwickeln“, unterstrich Laura Kuhlmann. „Sie haben als Gesellschafter die Gemeinnützige Gesellschaft für psychische Gesundheit (GDG) mit der Umsetzung beauftragt. Weitere Psychiatrieträger haben ihr Interesse bekundet, sich ebenfalls anschließen zu wollen“, fügte die GDG-Geschäftsführerin hinzu. Es sollen alle digitalen Angebote gebündelt werden, um die Patient Journey zu optimieren. Auch Nachhaltigkeit stand in Bad Homburg auf der Agenda. Mithilfe eines Umweltkonzepts werde sorgsam mit Energie- und Wasserverbräuchen umgegangen – auch aus Wirtschaftlichkeitsgründen. In Sachen Digitalisierung bestünde noch viel Aufholbedarf, einländerübergreifender Austausch sei u.a. wichtig um den Blick auf die eigenen Strategien zu schärfen. Auf dem Campus der Universitätsmedizin Mainz stand u.a. die Krankenhaus-IT-Umgebung im Fokus des Delegationsbesuches. © Reiter Universitätsmedizin Mainz In ihren Präsentationen machten die Vertreterinnen und Vertreter in Mainz „vor allen Dingen auf die neuen Anforderungen im Gesundheitssystem bzw. Krankenhaus-IT Umgebungen aufmerksam“, erläuterte PD Dr. Christian Elsner. „Diese sind quasi diametral – durchAnforderungen an schnelle agile Entwicklungen und gleichzeitig deutlich erhöhte Anforderungen durch KRITIS und DSGVO“, erklärt der kaufmännische Vorstand weiter. So entstehen für viele Kliniken – u.a. auch die Unimedizin Mainz – neue Herausforderungen. Die Unimedizin Mainz habe darauf, neben einem Infrastrukturprojekt, mit der Aufstellung eines agilen Entwicklungsteams reagiert, das ursprünglich aus den Hackathons der Unimedizin hervorgegangen sei und sich vor allen Dingen in der Covid-Zeit mit Lösungen sehr hervortun konnte. „Eine der exemplarischen Entwicklungen“, erklärte Elsner, „war die COMPASS Plattform, die als BMBF-Projekt zusammen mit der UniversitätsmedizinCharité Berlin entwickelt worden ist. Die Plattform steht als Open Source Umgebung zur Verfügung, erhebt Daten über eine Erhebungsbogenbibliothek im FHIR-Standard sehr einheitlich, und hat schon mehr als fünf klinische Studien bei der Datenerhebung ‚im Feld‘ bei Patienten unterstützt“. Zusammen mit dem neu eingeführten „Broad Patient Consent“ sei das Tool zu einer wertvollenHilfe in klinischen Studien geworden. Nach dem Gespräch mit den US-Gästen zog der kaufmännische Vorstand einen Vergleich mit dortigen Verhältnissen. In den USA habe man einige Digitalisierungsumgebungen geschaffen, in denen man nun weiter sei als in Deutschland und wo man das Instrument „monetäre Motivationsmechanismen für die Sicherstellung standardisierter IT-Lösungen“ forcierter einsetze. Elsner berichtete dazu: „In Deutschland hat man sich mehr Zeit bei der Detailregulierung zu DSGVO- und KRITIS-Anforderungen gelassen, und es entsteht das Gefühl, dass hierdurch eine größere ‚Sperrigkeit‘ im System entstanden ist.“ Gleichwohl zeige der Austausch und die teilweise erfolgende Adoption: „Die Problemesind überall die gleichen, aber die Herangehensweisen sind unterschiedlich; sie können beide Seiten gut befruchten, wir können voneinander lernen“. Beim Besuch im St. Josefs-Hospital ging es u.a. um das „Big Picture“ der Versorgung der Zukunft. © Reiter St. Josefs-Hospital „Mit unserer Präsentation wollten wir auf der einen Seite das große Ganze zeigen, das ‚Big Picture‘ unserer verbundübergreifenden Digitalstrategie, die wir bereits seit vielen Jahren entwickeln und die fortlaufend wächst“, sagte Geschäftsführer Thomas Reckmeyer. Auf der anderen Seite sollten aber auch einzelne Projekte in den Fokus gerückt werden, die bereits in der aktiven Nutzung seien und einen großenMehrwert haben. Als Beispiele nannte er die Nutzung und Entwicklung von Apps zu Kommunikations- und Informationszwecken wie die „JoHo Baby-App“ und die „Siilo Messenger-App“, konkrete Erleichterungen im praktischen Arbeitsalltag durch den Einsatz einer digitalen Fieberkurve oder eines Unit-Dose-Systems und ein vielschichtiges, modernes Krankenhausinformationssystems.Von dem Austausch mit den US-Vertretern nahm Reckmeyer als Botschaften mit: „Wir nehmen insbesondere die positive Botschaft mit, dass wir uns mit unserer Digitalstrategie auf dem richtigen Weg befinden. Die Herausforderung ist ohne Frage komplex und groß, aber wir wurden in unserer Richtung weiter bestärkt.“ Beim Besuch des Viktoriastiftes stand u.a. das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) im Fokus. © Reiter Landeskrankenhaus Viktoriastift Beim Site Visit am Viktoriastift wurde gezeigt, „dass wir bereits vor dem KHZG unternehmensintern eine digitale Agenda auf den Weg gebracht hatten“, erklärte Dr. Thorsten Junkermann. Er ist Regionaldirektor Nord, Landeskrankenhaus, Kaufmännischer Direktor, Rhein-Mosel-Fachklinik sowie Chief Digital Officer des Landeskrankenhauses. „Diesen Zielsetzungen hat das KHZG einen großen Schub verliehen. Wir hatten einen Plan, dann kam der Booster.“ Die Themen im Vergleich mit US-Verhältnissen seien ähnlich: Digitalisierung, Fachkräftesuche, Patientenbeteiligung. „Nur sind wir in Deutschland etwas hinten dran“, sagt Junkermann. Er beschreibt hierfür ein Beispiel: „Kliniken in den USA standen vor zehn Jahren vor einer ähnlichen Herausforderung wie wir heute. Damals hatte der Staat die digitale Entwicklung massiv gefördert. Man musste ganz ähnliche strategische Aufgaben bewältigen, vor denen wir heute stehen.“ Auch Junkermann ist der Ansicht, dassman viel um Austausch mit den USA lernen könne, um die eigene digitale Strategie umzusetzen. „Positiv war, dass wir auf einem guten Weg sind, indem wir die Digitalisierung zum Managementthema erhoben haben.“ Das Feedback der US-Vertretungen Das KHZG bringt dringend benötigte Invest-Potenziale für deutsche Krankenhäuser, nahm Albert Oriol als Botschaft mit zurück in die USA.Ein Nachteil bestehe laut dem CIO der Rady’s-Pädiatrie-Gruppe darin, dass das Gesetz einen Schnellschuss produziert, der Krankenhäusern bei allen weiteren Belastungen rasches aufwändiges Handeln aufzwingt.Viele der Häuser, so sein Eindruck, würden nach neu zu konzipierenden Lösungen suchen, statt Produkte von der Stange zu verwenden, wo sich die Frage ergibt, ob diese hierzulande bislang zur Verfügung standen. Was können hiesige Häuser von Hightech Act und Meaningful Use lernen, die die Blaupause für das KHZG und den Digitalradar geboten haben? Oriol erinnert v.a. an das Chaos, das für US-Patientinnen und -Patienten durch die Vielzahl an Patientenportalen entstand. Gleich mehrere Portale sollten Erkrankte bedienen, wenn sie Leistungen mehrerer Leistungserbringer in Anspruch nahmen – das funktioniert nicht. In den USA investierten Leistungserbringer in fachlich tiefe Funktionalitäten, die später aber auch bei Großanbietern zu finden waren – worauf der Disinvest aus kleinen Lösungen folgte. DSGVO könnte verstärkt zum Modell für Datenschutz in den USA werden, betonte Oriol. Auch Keith Fraidenburg, CEO des CIO-College CHIME, stellte das KHZG analog zur US-Förderung in den Mittelpunkt. Die Beschleunigung der Digitalisierung durch Förderung ist grundsätzlich zu begrüßen, betonteFraidenburg. Den engen Zeitrahmen sieht er als Herausforderung; v.a. bei klinischen Systemen müssten langfristige Folgen von Entscheidungen unbedingt beachtet werden. Interoperabilität kann helfen, den Weg zur Digitalisierung abzusichern; Langfriststrategien müssten jedoch zahlreiche weitere Schlüsselfaktoren einbeziehen. Kontakt zum Autor: Michael Reiter, Freier Journalist, spezialisiert auf den Gesundheitssektor, michael.reiter-pr@gmx.de

Amerikanische Krankenhausvertreter in Deutschland „Auf einem guten Weg“

Reimbursement im Überblick

Digitale Gesundheit von A bis Z

Themenwelt Pflege: Alles im Blick

Kostenloser Newsletter