Suchterkrankungen im Alter Altenpflegekräfte sind mit diesem Klientel überfordert

Süchtig, so glauben viele, sind eher junge Menschen. Ein Irrtum, wie die Zahlen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung belegen. 26,9 Prozent der Männer über 60 Jahre und 7,7 Prozent der Frauen dieser Altersgruppe haben ein deutlich erhöhtes Risiko für Krankheiten wegen ihres Alkoholkonsums. Was passiert mit ihnen im Alter?In welchen Einrichtungen leben diese Menschen und mit welchen Herausforderungen sind die Altenpflegekräfte vor Ort konfrontiert? „Seit rund fünf Jahren haben wir zunehmend mehr Bewohner mit Sucht- und Psychoseerkrankungen“, stellt Almut Meyenburg fest, die seit 20 Jahren das Anna-Meyberg-Haus, eine geschlossene gerontopsychiatrische Einrichtung, in Hannover leitet. „Der pflegerische Befund“, erklärt die 49-Jährige, „ist bei Suchtkranken gering.“ Teils seien das Menschen, die auf der Straße gelebt hätten oder aus einer psychiatrischen Klinik kämen und zunächst Selbstständigkeit und Normalität erlernen müssten. Es mangele an Hygiene, sie seien schwierig zu motivieren und verstünden nicht, warum ihnen ein an Demenz Erkrankter nicht antwortet oder immer wieder dieselbe Frage stelle. Viele von ihnen liegen stundenlang auf ihrem Bett und rauchen. „Wenn sich ein an Demenz Erkrankter in der Zimmertür irrt und nicht weggehen will, gibt es einen Konflikt.“ „Das Problem ist“, bedauert Meyenburg, „dass es in den Langzeitpsychiatrien nicht ausreichend Plätze gibt und keine Zwangsbehandlung gegen den Willen des Patienten durchgeführt werden darf.“ Das bedeutet, dass ein Mensch mit einer akuten Psychose unbehandelt bleibt, obwohl er mit einer Depotspritze gut zu Hause leben könnte. Früher seien diese Menschen in der Eingliederungshilfe untergebracht worden, heute würden etliche mit einer unbehandelten Psychose in einer gerontopsychiatrischen Einrichtung leben. Dort würde man ihnen nicht immer gerecht, weil sie eine viel intensivere Betreuung bräuchten. „Zwar können wir“, räumt Meyenburg ein, „nach § 87 b zusätzliche Betreuungskräfte einfordern, aber das sind ungelernte Kräfte mit einer sechswöchigen Qualifizierung, die etwas vorlesen, Salat zubereiten oder beim Spaziergang begleiten. Es ist jedoch schwierig, diese Mitarbeiter für die Betreuung der an Korsakow Erkrankten einzusetzen.“ Ein Problem, das andere stationäre Einrichtungen in Hannover auch kennen. Wir müssen umdenkenHolger Geis leitet in Hannover das Pflegezentrum Heinemannhof und beobachtet in seinem Haus seit zwei Jahren eine rasante Zunahme von „jüngeren Menschen“ mit einer Suchterkrankung. Dieses Klientel habe schon etliche Heime durchlaufen, sei in der Regel pflegebedürftig, verwahrlost und zeige ein herausforderndes Verhalten. „Wir versuchen das zu meistern und haben mithilfe eines Neurologen und Psychiaters diverse Fortbildungen zu dem Krankheitsbild absolviert“, sagt der Heimleiter, der auch über interdisziplinäre Fallbesprechungen seine Mitarbeiter zu unterstützen versucht. Aber es gebe Grenzen: „Wenn ein Mitarbeiter sagt, dass er nicht mehr kann, wird er an einen anderen Arbeitsbereich versetzt.“ Im Grunde sei er aber stolz auf seine Mitarbeiter, die durch neue Ideen, bewundernswerte Geduld und sehr viel Einfühlungsvermögen die Situation entschärften. „Was aber“, so fragt Geis, „geschieht, wenn die Zahl der suchtkrankten Menschen weiterhin steigt?“ Im Vergleich zu anderen Bundesländern habe Niedersachsen einen relativ geringen Personalschlüssel, in anderen Bundesländern gebe es diese Form der geschlossenen Einrichtungen nicht und er bekomme regelmäßig Anfragen aus anderen Bundesländern, ob er suchterkrankte Personen aufnehmen könne. „Wir müssen umdenken“, ist Geis überzeugt. Die Krankheitsbilder Depression, Schizophrenie und Psychose müssten in die Ausbildung der Altenpfleger integriert werden. Es sei ohnehin schwierig, gute Mitarbeiter zu finden und der Umgang mit an Korsakow und Demenz Erkrankten sei nicht für jeden etwas. „In Hannover gibt es drei geschlossene Einrichtungen, die dieses Problem haben, und wir haben uns bereits getroffen, um künftig gemeinsam Fortbildungen zu organisieren und unsere Ressourcen zu bündeln.“ Viele Mitarbeiter sind auf dieses Klientel nicht vorbereitetJolanta Turek arbeitet seit vielen Jahren als Pflegedienstleitung im Anna-Meyberg-Haus. In der Einrichtung haben 60 Prozent der Bewohner Demenz mit auffälligem Verhalten, 30 Prozent eine Suchterkrankung und zehn Prozent leiden unter einer Psychose oder Schizophrenie. „Vor rund 25 Jahren“, sagt die 56-Jährige, „hatten wir in den Altersheimen somatische Erkrankungen, später kamen vereinzelt an Demenz Erkrankte hinzu, heute haben wir viele an Demenz Erkrankte und vermehrt Menschen mit Korsakow, Polytoxikomanie, unbehandelte Psychosen und Schizophrenie.“ „Darauf sind viele Mitarbeiter nicht vorbereitet“, sagt die gelernte Pflegekraft. Der jüngste Bewohner sei 48 Jahre alt und brauche eine andere Ansprache wie ein an Demenz Erkrankter. Mit Vorlesen, Sitzkreis oder Bastelarbeiten könne man ihn nicht locken. Ein an Korsakow Erkrankter müsse nicht im klassischen Sinne gepflegt, sondern zu Aktivitäten angeleitet werden. „Für diese Menschen sind eher Garten- und Reparaturarbeiten, Werkeln mit Holz sowie handfestes Mitanpacken geeignet.“ Man müsse im Umgang mit Suchterkrankten klare Grenzen setzen. Das Vermitteln von Nähe und Distanz sei eine Gradwanderung. Für manche Mitarbeiter ist es außerdem ein Problem, dass einige Bewohner jünger als sie selber seien. „Für uns hat es sich bewährt, dass wir nach der Mäeutik-Methode arbeiten“, sagt Turek. Das wirke deeskalierend. Regelmäßig komme Cora van der Kooij, die das Modell entwickelt habe, für Fortbildungen ins Haus, um bei Bewohnerbesprechungen anwesend zu sein und ihre Methodik auf das Klientel abzustimmen. Sie hätten z.B. einen Bewohner gehabt, der draußen lebte und nur auf dem Boden schlafen wollte. Sie hätten ihn gelassen und so über Wochen sukzessiv Vertrauen aufgebaut. „Eine Grundformel für den Umgang mit psychisch kranken Menschen gibt es nicht, aber eine wertschätzende Haltung ist wichtig“, sagt Turek. Das sieht auch Meyenburg so, die sich für die an Korsakow und psychisch erkrankten Menschen eine separate Unterbringung wünscht. Ein Konzept ist bereits geschrieben und ein Antrag für einen Neubau beim Kostenträger eingereicht. Eine Antwort hat sie noch nicht erhalten.