PFAS (per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen) Alleskönner leben ewig

PFAS können alles und sind überall. Aufgrund von Gesundheitsrisiken wird nun auf EU-Ebene über Verbot und Ausnahmen verhandelt. Auch die Healthcare-Branche wird daran nicht vorbeikommen. Das Grundgerüst der PFAS bietet vielfältige Variationsmöglichkeiten. Zu den organischen Fluorverbindungen zählen perfluorierte Alkylcarbonsäuren (PFCA) wie Perfluoroctansäure (PFOA), perfluorierte Alkylsulfonsäuren (PFSA), Fluortelomeralkohole (FTOH) und viele andere. Die Gruppe der PFAS, teils auch als PFC oder PFT bezeichnet, umfasst mehr als 10.000 Substanzen. Mehrere tausend wasser-, schmutz- und fettabweisende Substanzen zählen zu den per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS). Seit den 1950er Jahren haben sie die Welt der Verpackungsmaterialien, wasserdichten Textilien, Haushaltsartikel, Druckerzeugnisse bis hin zu Medizinprodukten erobert (UBA 2020). Chemisch gesehen sind PFAS von organischen Kohlenstoffverbindungen abgeleitet, indem Wasserstoffatome durch Fluoratome künstlich ersetzt werden. So sind bei perfluorierten Alkylverbindungen alle chemisch möglichen Positionen mit Fluor besetzt, bei polyfluorierten Alkylverbindungen nur einige. Weil Kohlenstoff-Fluor-Verbindungen zu den stabilsten Bindungen in der Chemie gehören, zeigen sich PFAS sehr widerstandsfähig gegenüber anderen Chemikalien und Temperatur. Ihre vielfältigen Eigenschaften beruhen auf sogenannten funktionellen Gruppen, wie Säure- oder Alkoholresten, die am Kohlenstoffgerüst angehängt sind (Knapp/Fromme 2023). Weil PFAS gut wasserlöslich sind, findet man die Substanzen inzwischen fast überall in der Umwelt. Weil sie dazu noch schlecht abbaubar sind, reichern sie sich seit Jahren in Gewässern, Böden und Nahrungsketten an. Auch im menschlichen Körper sind sie nachweisbar und wurden in etlichen Untersuchungen mit gesundheitlichen Schäden in Zusammenhang gebracht (UBA 2020, Knapp/Fromme 2023). Wie wirken PFAS? Zur Wirkung im Organismus kommt es durch Bindung von PFAS an Proteine und Phospholipide der Körperzellen. So ist gezeigt, dass PFAS an Steroidhormonrezeptoren wie Östrogen- und Androgenrezeptoren oder an Schilddrüsenrezeptoren andocken und deren Aufgaben im Stoffwechsel und bei der Entwicklung stören. Außerdem binden PFAS an Enzyme aus der Gruppe der Poly-(ADP-Ribose)-Polymerasen (PARP), die für die Reparatur von DNA-Schäden nach Mutation wichtig sind. So wird verständlich, dass PFAS nicht nur mit einer ganzen Reihe von Entwicklungsstörungen, sondern auch mit Erkrankungen von Schilddrüse und Leber, Fettleibigkeit und Krebs in Zusammenhang gebracht werden. Ob und in welchen Konzentrationen die einzelnen Substanzen schädlich sind, ist bei Industrieverbänden und Verbraucherorganisationen umstritten, was die Festlegung von Grenzwerten erschwert. Außerdem sind Langzeiteffekte und additive oder synergistische Cocktail-Effekte auf den Körper schwierig zu erfassen und noch unzureichend erforscht (HBM4EU 2020, UBA 2020). PFAS-Einsatz reguliert Bestimmungen über PFAS sind in verschiedenen Verordnungen niedergelegt, wie der Europäischen Chemikalienverordnung REACH, der CLP-Verordnung zur Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung, sowie der Stockholm-Konvention für persistente organische Schadstoffe (POP). So regelt beispielsweise die 2007 in Kraft getretene EU-Verordnung REACH die Zulassung und Beschränkung von Herstellung, Inverkehrbringen, Import und Verwendung verschiedenster Chemikalien, auch einiger PFAS. Aufgrund neuer Erkenntnisse zu Gesundheitsrisiken durch PFAS plant nun die EU-Kommission im Rahmen der Chemikalienstrategie für Nachhaltigkeit eine Verschärfung der Verordnung ab Ende 2023. Diese wird auch die Gesundheitsbranche betreffen (UBA 2023). Konsultationsphase läuft Die Behörden von Deutschland, Dänemark, der Niederlande, Norwegen und Schweden haben im Januar 2023 einen Beschränkungsvorschlag für PFAS bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) eingereicht. Dabei sollen Herstellung, Verwendung, Inverkehrbringen und Einfuhr von mehr als 10.000 PFAS beschränkt oder verboten werden. Die wissenschaftliche Bewertung der eingereichten Dossiers erfolgt durch die ECHA-Ausschüsse für Risikobeurteilung (RAC) und für sozioökonomische Analyse (SEAC). Außerdem wurde Mitte März 2023 eine 6-monatige Konsultationsphase gestartet, im Rahmen derer Verbände, Hersteller und andere Betroffene aufgerufen sind, für die Beurteilung relevante Informationen und Daten zur Verfügung zu stellen. Diese werden von der ECHA beurteilt und sollen in die Entscheidung über Verbote und Einschränkungen eingehen. Auch Übergangsfristen zur Entwicklung von Alternativen werden diskutiert, nicht zuletzt, weil die Substanzen aus unserem Leben derzeit schwer wegzudenken sind (BAuA 2023). Wie ist die Medizin betroffen? Der aktuelle Beschränkungsvorschlag betrifft Substanzen mit mindestens einem vollständig fluorierten Methyl- oder Methylen-Kohlenstoffatom, die auch im Gesundheitssystem genutzt werden. Dies gilt zum einen für Medizinprodukte wie Herzklappen, zum anderen für Arzneimittel wie bestimmte Antidepressiva (z.B. Fluoxetin), bestimmte Schmerz- und Entzündungshemmer (z.B. Celecoxib) oder Protonenpumpenhemmer zum Magenschutz (z.B. Lansoprazol) (Gnegel 2023). Auch wenn Ausnahmeregelungen aufgrund von Mangel an Ersatzstoffen im Gespräch sind, ändert dies nichts am Grundproblem der Umwelt- und Gesundheitsschädigung. Damit führt kein Weg vorbei an der Suche nach Alternativen. So sind bereits paraffinhaltige Stoffe, Polysiloxane, modifizierte Melaminharze und Polyurethane mit wasserabweisender Wirkung bekannt. Polyurethane könnten auch dazu dienen, die öl- und schmutzabweisende Wirkung von PFAS effektiver zu machen, damit zumindest deren Konzentration reduziert werden könnte. Auch im Bereich der Löschmittel werden bereits fluorfreie Alternativen untersucht. Neben etlichen weiteren Forschungsvorhaben befasst sich auch das Naturwissenschaftliche und Medizinische Institut in Reutlingen (nmi.de) mit seinem MDR- & IVDR-Kompetenzzentrum mit der Entwicklung und Zulassung von PFAS-Alternativen für die Gesundheitsbranche (Knapp/Fromme 2023). Was können Kliniken tun? Angesichts der Omnipräsenz der umstrittenen Substanzen sind alle Bereiche gefordert umzudenken, von Produzenten bis Nutzern. Angehörige der Gesundheitsbranche können sich zum einen mit ihren Erfahrungen in der Konsultationsphase der EU einbringen, zum anderen ihre Patientinnen und Patienten durch Informationsangebote mit ins Boot holen. Außerdem sind alle aufgerufen, den Umgang mit wasser-, schmutz- und fettabweisenden Materialien zu überdenken und machbare Alternativen zu testen. „Taking action on PFAS“ heißt es bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA). Literatur Umweltbundesamt (UBA) (2020) Schwerpunkt 1-2020: PFAS. Gekommen, um zu bleiben. https://www.umweltbundesamt.de/publikationen/schwerpunkt-1-2020-pfas-gekommen-um-zu-bleiben [27.04.2023] Knapp H., Fromme H. (2023) Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen (PFAS) (einschl. Ersatzprodukte), Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, https://www.lgl.bayern.de/lebensmittel/chemie/kontaminanten/pfas/index.htm [27.04.2023] HBM4EU, Per-/polyfluorinated compounds (2020), https://www.hbm4eu.eu/hbm4eu-substances/per-polyfluorinated-compounds/ [27.04.2023] Umweltbundesamt (UBA) (2023), Regulierung von PFAS unter REACH, CLP und Stockholm Konvention, https://www.umweltbundesamt.de/regulierung-von-pfas-unter-reach-clp-stockholm [06.03.2023] Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). Beschränkung von per- und polyfluorierten Stoffen (PFAS), https://www.reach-clp-biozid-helpdesk.de/DE/REACH/Verfahren/Beschraenkungsverfahren/Deutsche_Vorschlaege/PFAS/PFAS_node.html [27.04.2023] Gnegel G. (2023), PFAS – trifft ein Verbot auch Arzneimittel? DAZ.online, https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/news/artikel/2023/04/04/pfas-als-wirkstoffe-auf-der-suche-nach-alternativen [27.04.2023] Kontakt zur Autorin Dr. habil. Eva Gottfried, Wissenschaftskommunikation und Medical Writing, Diplom-Biologin, gottfried@biomedtechcommunications.com

PFAS (per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen) Alleskönner leben ewig

Reimbursement im Überblick

Digitale Gesundheit von A bis Z

Themenwelt Pflege: Alles im Blick

Kostenloser Newsletter