Betriebliches Gesundheitsmanagement Achtsamkeit gegen Corona-Stress auf Station

Sebastian Brandt ist Achtsamkeitstrainer und arbeitet mit dem Klinikum Osnabrück an einer Studie zu intraoperativen Minipausen bei längeren OPs. Seine Mission: Menschen im Gesundheitswesen dabei helfen, gesund zu bleiben. Gegenüber HCM gibt er Tipps für die kräftezehrende Corona-Zeit.Sebastian Brandt ist BGM-Berater, Regenerationsberater und Achtsamkeitstrainer, Centrumed.Die Resilienz der Mitarbeitenden in Einrichtungen der Gesundheitsversorgung ist aktuell mehr denn je gefordert. In solchen herausfordernden Zeiten, in denen für nichts wirklich ausreichend Ressourcen jeglicher Art zur Verfügung zu stehen scheinen, ist es umso schwieriger die eigene Resilienz zu aktivieren. HCM hat bei einem Experten für Betriebliches Gesundheitsmanagement im Gesundheitswesen nachgefragt, wie Mitarbeitende in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen im Alltag die eigene Resilienz stärken können, um dem Stress standzuhalten und sich selbst vor negativen physischen und psychischen Auswirkungen zu schützen. Das wichtigste Stichwort: Achtsamkeit. Herr Brandt, Sie bringen das Thema Achtsamkeit in Einrichtungen des Gesundheitswesens. Was verstehen Sie denn genau darunter? Brandt: Achtsamkeit ist für mich ein spezieller und trainierbarer Bewusstseinszustand, für den ich einen inneren Beobachter installiere, der innere und äußere Vorgänge in diesem Moment bewusst wahrnimmt. Ich übe mich in einer gezielten Aufmerksamkeitslenkung, die auch eine bestimmte Grundhaltung erfordert wie eine grundsätzliche Akzeptanz allen Erlebens und den Wunsch nicht zu Urteilen. Für mich ist dabei der Bezug zum eigenen Körper wichtig. Ich kann durch das Trainieren von Achtsamkeit z.B. meine Körperwahrnehmung verbessern und dadurch besser verstehen wie sich erlebter Stress auf meinen Körper auswirkt oder wie umgekehrt bestimmte Körperhaltungen mein Erleben positiv beeinflussen können. Das klingt nach viel Arbeit und Auseinandersetzung mit sich selbst. Ist denn im Alltag von Pflegekräften und Medizinern Platz dafür? Brandt: Wir beteiligen uns an einer Studie zum Thema intraoperative Mini-Pausen mit dem internen Gesundheitsmanagement am Klinikum Osnabrück in Kooperation mit der Universität Osnabrück. Damit wollen wir herausfinden, welchen positiven Nutzen speziell konzipierte Minipausen auf längeren OPs und das OP-Team haben. Ziel ist es damit einen sinnvollen Ausgleich zu den täglichen Tätigkeiten des OP-Personals anzubieten, damit diese Menschen körperlich und geistig gesund bleiben. Als Grundlage für die Inhalte der Minipausen haben wir die Abläufe im OP vorher analysiert. Spannungspitzen sollen in den Minipausen z.B. durch Bewegungseinheiten und kurze, mentale Interventionen abgefedert werden. Zum Wohle der Mitarbeitenden und der Patienten. Insofern ja, es ist Platz für Achtsamkeit im Einrichtungsalltag. Welche Tipps haben Sie für herausfordernden Zeiten wie die Corona-Pandemie? Brandt: In extremen Situationen, die über einen langen Zeitraum andauern, empfehle ich mir selbst als erstes die Frage zu stellen, in welchem Zustand ich gerade bin. Das bedeutet heraus zu finden, in welcher Form mein Körper und mein Geist auf die äußeren Umstände reagieren und ob mein momentaner Zustand noch Raum für neue Methoden lässt, oder ob ich im Autopiloten laufe und absolut keine Kraft für Neuerungen habe. Im letzten Fall würde ich aus Sicht der Achtsamkeit empfehlen, auch diesen Zustand erstmal wahrzunehmen und als logische Folge der momentanen Situation anzuerkennen. Diese achtsame Art zu Denken kann bereits einen wesentlichen Unterschied machen, da ich mich bewusst dazu entscheide, die Situation anzunehmen wie sie ist und nicht gegen sie ankämpfe. Und wenn man gerade keine Kraft hat, sich mit sich selbst in dieser Form auseinanderzusetzen? Brandt: In so einer Situation macht es immer Sinn auf Altbewährtes zurück zu greifen. Vielleicht haben mir in der Vergangenheit Massage oder Akupunktur geholfen? Dann könnte ich direkt Termine dafür vereinbaren. Vielleicht gehe ich auch gern spazieren, male gern oderstricke. Diesen Tätigkeiten jetzt gezielt meine Aufmerksamkeit zu widmen halte ich in belastenden Situationen für sinnvoll. Das hört sich einfach an, aber damit greift man durch Achtsamkeit auf persönliche Ressourcen zurück und setze diese gezielt ein, um einen positiven Einfluss auf das Erleben zu nehmen. Welche Achtsamkeitsübungen lassen sich gut in den Alltag in Klinik oder Pflegeeinrichtung einbauen? Brandt: Am einfachsten sind hier Übungen einzusetzen, die ich „Alltagsübungen“ nenne. Das bedeutet Tätigkeiten, die eh zu meinem Arbeitsalltag gehören, besonders achtsam durchzuführen. Das können z.B. meine Laufwege sein. Hier kann ich versuchen meine Füße wahrzunehmen, während ich gehe. Egal wie eilig ich es gerade habe, in diesem Moment kann ich nichts anderes machen, als zu gehen, also kann ich diese Zeit auch für eine Achtsamkeitsübung nutzen und damit ins Hier und Jetzt zurückkommen, um meinen Gedanken eine kleine Pause gönnen. Ich könnte auch während Routinetätigkeiten einfach meinen Atem beobachten. Damit binde ich meine Aufmerksamkeit ebenfalls im gegenwärtigen Moment. Wichtig in stressigen Phasen ist vorher eine Tätigkeit festzulegen und diese dann immer besonders achtsam durchzuführen. Was können Mitarbeitende tun, um dauerhaft mehr Energie für die Arbeit zu haben? Brandt: Für mich spielt für dieses Ziel ein funktionierendes, persönliches Regenerationsmanagement eine entscheidende Rolle. Dieses ist sehr individuell und meiner Erfahrung nach ändern sich die eigenen Bedürfnisse für gelungene Regeneration auch mit wechselnden Umständen in verschiedenen Lebensphasen. Wenn ich aber die Kraft habe und mir die Zeit für die Planung meiner Entspannung nehme, wird sich das auf Dauer positiv auf meine Belastbarkeit und Lebensqualität auswirken. Ich empfehle hier immer verschiedene Methoden auszuprobieren, bis ich etwas gefunden habe, das gerade zu mir passt. Das kann einer der Klassiker wie Meditation, Yoga, Qigong, Tiefentspannung oder ein Achtsamkeitskurs sein. Das Gespräch führte Bianca Flachenecker.