Deutlich mehr als jede dritte Krankenhauseinweisung in den letzten zwölf Wochen vor Versterben kann – so die WIdO-Analysen – als potenziell vermeidbar klassifiziert werden. Das zeigt der aktuelle Pflege-Report 2022. Die Ergebnisse im Überblick.

Der Pflege-Report 2022 mit Schwerpunkt „Spezielle Versorgungslagen in der Langzeitpflege“ rückt neben der Versorgung am Lebensende jene Pflegebedürftigen in den Mittelpunkt, die nicht wie im „Normalfall“ aus altersassoziierten Gründen Unterstützungsbedarf aufweisen. Dazu gehören z.B. Kinder und Jugendliche oder Menschen mit speziellen Grunderkrankungen wie frühen Demenzen. Denn fast ein Fünftel der Pflegebedürftigen ist noch keine 60 Jahre. Neben Kinder- und Jugendlichen sind dies auch Erwachsene im erwerbstätigen Alter oder Menschen mit speziellen Grunderkrankungen wie beispielsweise frühen Demenzen, Beatmungspflicht oder auch Menschen mit Behinderungen. All diese Betroffenen fallen letztlich mit ihren spezifischen Bedarfen durch das Raster der „Altenpflege“. Die 16 Fachbeiträge des Pflege-Reports widmen sich ihren Versorgungs- und weiteren Unterstützungsbedarfen und erklärt, wie diese gezielt gedeckt werden können: in Bezug auf das geeignete häusliche oder außerhäusliche Pflegesetting sowie hinsichtlich der erforderlichen Qualifizierung und Unterstützung informeller wie professioneller Pflegekräfte.
Pflege-Report zeigt Diskrepanz zwischen Versorgungswunsch und Wirklichkeit
Wichtige Hinweise, wie sich die Versorgung am Lebensende in der Praxis darstellt, gibt die Befragung von rund 550 Pflegefach- und Assistenzpersonen. „Die Diskrepanz von Versorgungswunsch der pflegebedürftigen Menschen und Wirklichkeit wird hier deutlich“, sagt Dr. Antje Schwinger, Forschungsbereichsleiterin Pflege beim Wissenschaftlichen Institut der AOK (WIdO) und Mitherausgeberin des Pflege-Reports 2022. So erlebe jeder Fünfte monatlich oder häufiger, dass Bewohnende am Lebensende in ein Krankenhaus eingewiesen werden, obwohl dies aus Sicht der Befragten nicht im besten Interesse der Versterbenden ist. Die Mehrheit der Befragten gibt an, dass sie beobachten, dass sich auf Druck der Angehörigen das Behandlungsteam für belastende beziehungsweise lebensverlängernde Maßnahmen entschied, obwohl die Patientenverfügung ein anderes Vorgehen nahegelegt hätte.
Zwölf Wochen vor dem Lebensende: Mehr als jede dritte Krankenhauseinweisung vermeidbar
In den Jahren 2018 und 2019 wurden rund 56 Prozent aller Pflegeheimbewohnerinnen- und -bewohner innerhalb der zwölf Wochen vor ihrem Lebensende mindestens einmal in ein Krankenhaus verlegt. Das ist eine im internationalen Vergleich hohe Krankenhausverlegungsrate. Die Krankenhausaufenthalte verdichten sich kurz vor dem Tod. Jeder dritte Pflegeheimbewohnende befand sich 2018 und 2019 in seiner letzten Lebenswoche für mindestens einen Tag im Krankenhaus. Dabei bergen laut Schwinger diese Verlegungen für die hochbetagten und multimorbiden Menschen erhebliche Risiken und v.a. auch psychische Belastungen, die mit kognitiven Verschlechterungen einhergehen könnten.
Deutlich mehr als jede dritte Krankenhauseinweisung in den letzten zwölf Wochen vor Versterben kann – so die WIdO-Analysen – als potenziell vermeidbar klassifiziert werden. Analysiert wurde hierbei die Häufigkeit von sogenannten Pflegeheim-sensitiven Krankenhausfällen (PSK). Das sind z.B.:
- Herzinsuffizienz,
- Dehydration oder
- Harnwegsinfektionen.
Verbesserungsvorschlag für die Pflege am Lebensende: sektorübergreifende Prozesse
Insgesamt müsse bei der Versorgung am Lebensende genauer hingeschaut werden. „Eine Weiterentwicklung der gesetzlichen Qualitätssicherung als auch die Umsetzung einer Bewohnerbefragung in den Pflegeeinrichtungen wären ein wichtiger Schritt“, erklärt Dr. Carola Reimann, Vorstandsvorsitzende des AOK-Bundesverbandes. Sie sieht in der stärkeren Integration der Hospizdienste in den Langzeitpflegeeinrichtungen die Chance, Menschen in den Pflegeheimen und ihre Angehörigen in der letzten Lebensphase gut begleiten zu können. Dazu gehöre auch die Verbesserung der sektorenübergreifenden Prozesse und die Stärkung der berufsgruppenübergreifenden Zusammenarbeit.
Die Herausforderungen, die für Pflegefachpersonen bei der Versorgung und Begleitung von Menschen am Lebensende bestehen, werden verstärkt durch die Personalsituation. Dies macht die WIdO-Befragung an mehreren Stellen deutlich: Zwei Drittel der Befragten sehen diese als eher ungenügend an, um die anfallende Arbeit zu erledigen. “Der Anspruch eines würdevollen Sterbens im Heim darf nicht an fehlenden Ressourcen scheitern“, betont Reimann.