Gesundheitsversorgung 21. Europäischer Gesundheitskongress: Den Wandel selbst in die Hand nehmen

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Beim Europäischen Gesundheitskongress am 6. und 7. Oktober 2022 in München wurde über die derzeitigen Krisen und daraus resultierenden Herausforderungen des Gesundheitswesens mit Expertinnen und Experten aus der Branche und der Politik diskutiert. Das Motto in diesem Jahr lautete: „Mehr Wagen statt Klagen: Die unterschätzten Möglichkeiten unseres Gesundheitswesens“.

Mehr als 800 Teilnehmerinnen und Teilnehmer besuchten den 21. Europäischen Gesundheitskongress von 6. bis 7. Oktober 2022 in München. – © HCM

Kongressleiterin Claudia Küng begrüßte die mehr als 800 Teilnehmenden passend zum Kongressmotto und erklärte: „Die Erfahrungen mit der Pandemie zeigen, wir müssen uns trauen, größer zu denken.“

Der Bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek betonte in seiner Eröffnungsrede, dass das Gesundheitswesen vor großen Herausforderungen stehe und forderte, die Dinge mutig und entschlossen umzusetzen und die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen.

„Wir brauchen nicht nur eine Energiewende, sondern auch eine Gesundheitswende.“

Klaus Holetschek

Die Krankenhäuser stehen vor einem Wandel. Dieser sollte nicht zwanghaft sein, sondern selber mitgestaltet werden, erklärte Holetschek. Neue Ideen seien gefragt, bei der Digitalisierung und v.a. bei der Pflege. Bayern als Reha-Land müsse die Ressource Mensch in den Mittelpunkt stellen. Die Arbeitsbedingungen gehörten verändert. Die Gesundheitsbranche sieht er als eine Leitökonomie der Zukunft. Es brauche klare Ansagen wie die Kostensteigerungen angegangen werden können. Auch die Arbeitsbedingungen für die Pflegekräfte müssen verbessert werden, betonte der Minister. Jetzt sei es an der Zeit, die richtigen Weichen zu stellen.

Klaus Holetzschek, Bayerischer Gesundheitsminister, bei seiner Eröffnungsrede beim Europäischen Gesundheitskongress in München 2022. – © HCM

Medizinische Versorgung verbessern

In der Eröffnungsdiskussion zum Motto „Wo müssen wir mehr wagen? Wo liegen die unterschätzten Möglichkeiten unseres Gesundheitswesens?“ diskutierten Experten, welche Wege es geben kann, mutig, digital und patientendemokratisch zu agieren.

Prof. Dr. Christian Hagist sieht im demografischen Wandel eine der zentralen Herausforderungen. Demografie ist Vergangenheit in der Zukunft, betont er. Er will weg von der Vollkasko-Mentalität. Schon jetzt sei die GKV mit Milliarden unterfinanziert. Wenn jetzt nicht gegengesteuert werde, werden Beitragszahler ab 2030 etwa 50 Prozent allein für die soziale Sicherung abführen müssen. Er plädiert für weniger Staat und mehr Eigenverantwortung und marktwirtschaftliches Denken: „Wir brauchen jetzt Digitalisierung, ansonsten bekommen wir die Versorgungskrise nicht in den Griff.“

Zur Krankenhausstruktur meint Andreas Storm, Vorstandsvorsitzender der DAK Gesundheit, dass hier alle Teilnehmenden an einem Strang ziehen müssen. Die Krankenhausreform müsse Chefsache des Bundeskanzlers werden. Was also gilt es neu zu wagen, um an das Motto des Kongresses zu erinnern? „Eine Wende im Denken. Die Menschen müssen überzeugt werden, dass nicht die Anzahl der Kliniken relevant ist, sondern die Qualität der Behandlung und dass man dafür auch einige Kilometer mehr fahren muss als bisher.“

Prof. Dr. Dr. Karl Einhäupl zur Krankenhausfinanzierung: Diese könne auch der Bund alleine nicht regeln. Die Krise, die wir erwarten müsse man mehrgleisig angehen. Was können wir auf der Kostenseite besser machen, aber auch auf der Einnahmenseite? „Wir müssen regionale Lösungen finden“, sagte er. Es brauche mehr Mut findet er und verwies auf den Krankenhausplan NRW.

Alle Diskutierenden waren sich einig, es brauche eine Veränderung in der Krankenhauslandschaft.

Sektorenübergreifende Digitalisierung

In der Session „Wie Digitalisierung über Sektoren gelingen kann“ referierten Prof. Dr. Holger Holthusen, Medizinischer Geschäftsführer Knappschaft Kliniken, Tobias K. Gebhardt, GWA Hygiene, PD Dr. Sara Sheikhzadeh, CMO Asklepios Kliniken, und Tobias Dämlow, CDO Alloheim Senioren-Residenzen.

Holthusen berichtete über die Erfahrungen der Knappschaft Kliniken, z.B. über

  • Online-Zuweiserportal für die Ärzteschaft,
  • Terminportal,
  • Ärzteschaft-Patienten-Dialog automatisiert (KIS),
  • USER: Umsetzung eines Strukturierten Entlassmanagement mit Routinedaten.

Auch werden in den Kliniken keine Befundbriefe mehr ausgedruckt oder etwa CDs mitgegeben. Es gibt nur noch einen QR-Code. Über diesen erhalten alle Beteiligten schnellstmöglich die notwendigen Informationen.

Gebhardt berichtete über die sektorenübergreifende Digitalisierung im Bereich der Hygiene. Mit dem digitalen Assistenten „NosoEx“ für Krankenhaushygiene könne das reale Desinfektionsverhalten eines Krankenhauses detailliert ausgewertet werden. Dies führe wiederum zu einer Reduzierung der Infektionszahlen.

Sheikhzadeh stellt das Konzept „Digital Healthy Near“ der Asklepios Kliniken vor, das vor vier Monaten eingeführt wurde. Bei der Gesundheitsversorgung der Zukunft stehen die Patientinnen und Patienten im Mittelpunkt. Die digitalen Angebote sollen den gesamten Patient-Life-Cycle verbessern. Es wurden strategische Partnerschaften geschaffen, die Patientendaten werden gesammelt und auf einer Plattform vereint.

In der Pflegedokumentation sieht Dämlow eine große Herausforderung. Er sprach bei der sektorenübergreifenden Digitalisierung u.a. darüber, wie Patientendaten zwischen Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen, Ärzteschaft und Apotheken ausgetauscht werden können.

Prof. Heinz Lohmann (4.v.l.) moderierte die Diskussionsrunde zum Thema „Reformvorschläge für die Krankenhausstruktur“. – © HCM

Sicherstellung der Grundversorgung

Unter der Moderation von Prof. Heinz Lohmann, Gesundheitsunternehmer, wurden „Reformvorschläge für die Krankenhausstruktur“ vorgestellt.

Ulrich Langenberg, Leiter der Gruppe Krankenhaus, Abteilung IV Krankenhausversorgung, Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales NRW, informierte die Teilnehmenden über die neue Methodik in der Krankenhausplanung in NRW. Er sagte: „Wir sind nicht auf Stand by, sondern im Vorwärtsmodus“. Der zunehmende Einfluss der Bundesebene auf die Krankenhausplanung sei kein guter Weg. Die Bundesländer müssten die Vorgaben regionaler umsetzen, dies führe zu besseren Ergebnissen. Auch eine bessere Kommunikation führe zu Ergebnisverbesserungen.

Dr. Ralf Langejürgen, Leiter der Vdek, stellte die Reformvorschläge der GKV in Bayern vor. Zur Strukturreform meinte er, dass Handlungsbedarf bestehe, stehe außer Frage. Er nannte hierzu etwa stetig steigende Kosten, Fachkräftemangel, Überversorgung in den Ballungszentren, Unterversorgung im ländlichen Raum. Man müsse die Vorteile der Ambulantisierung nutzen. „Lösungswege nicht einfach wieder übers Geld gehen, denn immer mehr Geld alleine löse die Probleme nicht“, meint er.

Michael Draheim, Geschäftsbereich Finanzierung und Versorgungsplanung DKG, stellte die Reformvorschläge der DKG vor. Ein gemeinsames Verständnis zwischen Bund und Ländern sei wichtig. Die Strukturziele seien u.a.

  • Tagesbehandlungen ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung
  • Zukunftsprojekt: DRG-Reform
  • Regionale Versorgungsnetzwerke schaffen
  • Bundesweite Vorgaben als Orientierungsvorgaben sehen

In der anschließenden von Prof. Lohmann moderierten Diskussion war das Thema „Versorgungsstrukturen neu denken“. Die Referenten sprachen u.a. mit Prof. Dr. Jürgen Graf, Vorstandsmitglied Verband der Universitätsklinika Deutschlands, Dr. Winfried Brechmann, Bayerisches Staatsministerium für Gesundheit und Pflege, Dr. Jens Deerberg-Wittram, Geschäftsführer RoMed Klinikverbund, und Prof. Dr. Achim Jockwig, Vorstandsvorsitzender Klinikum Nürnberg, über die Probleme der Krankenhausstrukturen in Deutschland.

Einig war man sich darüber, dass die regionale Gesundheitsversorgung sichergestellt werden muss. Wie sieht die Zukunft der Krankenhausplanung aus? Darüber müssen Politik und Akteure in den Einrichtungen gemeinsam entscheiden sowohl auf kommunaler als auch auf Bundesebene.

Leuchtturmprojekte in der Pflege: „Stambulant“, Pflegebauernhöfe und autonome Demenzpflege

Seniorinnen und Senioren möchten nicht nur bedarfsgerecht gepflegt werden, sondern auch ein selbstbestimmtes und individuelles Leben in Pflegeeinrichtungen weiterführen. Die Lebensqualität soll weiterhin erhalten bleiben, weshalb für viele pflegebedürftige Menschen abwechslungsreiche Aktivitäten und ein gesundes, qualitativhochwertiges Essen im Mittelpunkt stehen.

Eines der Projekte, die einen Erhalt von Lebensqualität im Alter versprechen, ist das Projekt „Stambulant“. Stambulant ist ein Verbund von stationärer und ambulanter Pflege. Die pflegebedürftigen Seniorinnen und Senioren wohnen dabei in einem Hausgemeinschaftskonzept. Kasper Pfister, Geschäftsführer der BeneVit-Holding GmbH, steht mit dem Projekt vor den gleichen Herausforderungen wie andere Pflegeeinrichtungen.

„Es braucht Freiheit und Innovationen, um die Pflege retten zu können.“

Kasper Pfister

Ein weiteres innovatives Projekt ist das „Zukunft Pflegebauernhof“ des Landwirtes Guido Pusch. ,,Die Pflegebauernhöfe sind ein System für viele, aber nicht für alle“, meint Pusch. Aus eigener familiärer Betroffenheit baute er den großelterlichen Bauernhof um und gründete einen eigenen Pflegedienst. Die pflegebedürftigen Menschen werden aktiv am Leben auf dem Bauernhof beteiligt und haben Kontakt zu Tieren, Kindern und Natur. Aus dem Einzelprojekt wurde ein Netzwerk von Bauernhöfen, die ebenfalls planen zu Pflegebauernhöfen zu werden. Das Projekt kommt nicht nur bei Seniorinnen und Senioren gut an, sondern auch bei Pflegefachkräften. Herr Pusch hat daher nicht nur eine Warteliste für Pflegeplätze. Auch vor Bewerbungen kann er sich nicht retten.

„Erdbeeren schälen erlaubt!“ ist das Motto von wohlBEDACHT e.V., die ein spezielles Angebot für Menschen mit Demenz haben. Im Mittelpunkt des Pflegekonzeptes steht die persönliche Freiheit und Selbstbestimmung von demenzerkrankten Menschen. 2021 erhielt der Verein dafür den Förderpreis „Menschenrecht und Ethik in der Medizin für Ältere“.

Die Diskussionsrunde zu „Leuchtturmprojekte in der Pflege“: (von links) Dr. Marianna Hanke-Ebersoll, Claus Fussek, Emmi Zeulner, Annette Arand, Sonja Brandtner, Guido Puasch, Andreas Krahl, Kaspar Pfister und Hans Kaltner. – © HCM

EGKM 2022 – mehr wagen statt klagen

Mehr als 800 Teilnehmende besuchten den 21. Europäischen Gesundheitskongress in München. An beiden Tagen fand ein reger Austausch statt mit vielen Anregungen und neuen Erkenntnissen aus dem Gesundheitswesen. Dies waren u.a. die Themen:

  • Wer finanziert den wachsenden Bedarf in der Altenpflege?
  • Finanzierung der GKV
  • Die Rolle der Rehakliniken
  • Erfolgreiche Leuchtturmprojekte
  • Zulassung, Klinikauswahl, Vergütung
  • Digitale Vernetzung im Gesundheitswesen
  • Gesundheitsdaten
  • Pflegekräfte aus dem Ausland
  • Neue Vergütung für Krankenhäuser
  • Pflege durch Angehörige
  • KI und Digitalisierung
  • Gesundheitsregionen
  • Ambulantisierung

Der nächste Europäische Gesundheitskongress München findet am 26. und 27. Oktober 2023 statt.  

Den Rückblick und Impressionen zum 21. Europäischen Gesundheitskongress München finden Interessierte mit einem Klick hierauf.